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Die Synthetische Biologie verfolgt die Idee, künstliches Leben zu erschaffen, um es industriell zu nutzen. Dabei werden ähnliche Methoden wie bei der Gentechnik verwendet. Aber: es werden nicht nur Gene, die in der Natur vorgefunden werden, isoliert und in andere Organismen eingebaut. Es wird teilweise auch komplett neuer genetischer Code mittels Computer-Software geschrieben und anschließend "gedruckt", also im Labor nachgebaut.
Die Kosten sind teils schon so gering, dass eine Szene von "Bio-Hackern" entstanden ist, die von der heimischen Garage aus bastelt. Nötig ist nur die entsprechende Software - das Drucken des Erbguts aus Zucker übernehmen Dienstleistungslabore.
Die Synthetische Biologie könnte sowohl für die Medizin als auch für die Landwirtschaft, die Chemie oder die Energieerzeugung genutzt werden. Eine gesellschaftliche Debatte wird darüber so gut wie gar nicht geführt, bemängeln kritische Wissenschaftler. Gesetzliche Regelungen oder Kontrollen gibt es bisher nicht. Kritiker beschreiben die Synthetische Biologie als eine "extreme Form" der Gentechnik.
Die Synthetischen Biologie erschafft neues genetisches Material mit gewünschten Eigenschaften. Aber auch bereits existierende Genkonstrukte sollen nachgebaut und so leichter verfügbar gemacht werden.
Es gibt verschiedene Verfahren der Synthetischen Biologie:
Beim Bottom-up-Verfahren werden Erbgutabschnitte künstlich hergestellt. Dabei wird z. B. natürlich vorkommendes Erbgut komplett kopiert. So wurden Viren bereits im Labor hergestellt. Forscher erhoffen sich, in Zukunft auch komplexe Lebewesen zu produzieren.
Beim Top-Down-Verfahren werden biologische Organismen soweit reduziert, dass nur noch ein funktionales Gerüst von ihnen übrig bleibt. Es soll mit definierten Funktionen ausgestattet werden, wodurch ein neuer Organismus geschaffen wird.
Was genau "Synthetische Biologie" ist, wird noch diskutiert. Drei Expertengruppen der EU haben im September 2014 eine Arbeitsdefinition aufgestellt:
"SynBio is the application of science, technology and engineering to facilitate and accelerate the design, manufacture and/or modification of genetic materials in living organisms."
(dt.: SynBio ist die Anwendung von Wissenschaft, Technologie und Ingenieursarbeit, um das Design, die Herstellung und/oder die Veränderung von genetischen Materialien in lebenden Organismen zu ermöglichen und zu beschleunigen.")
Dass diese Definition sehr breit und ungenau ist, kritisierte auch eine der drei Expertengruppen. Sie ist für die Beratung der EU in Fragen des Verbraucherschutzes zuständig. Die Definition könne in dieser Form auch auf die Gentechnik und andere Formen der Biotechnologie zutreffen. Die Wissenschaftler schlugen im vorläufigen Papier von Juni 2014 vor, weitere Aspekte aufzunehmen, beispielsweise die Verwendung künstlich hergestellten Genmaterials, die Reduzierung auf ein Minimal-Genom oder die Verwendung "unnatürlicher" Nukleotide (Bausteine der DNA). Obwohl diese Aspekte nicht aufgenommen wurden (stattdessen wurde die Definition noch gekürzt), ist ihre "Minderheitenmeinung" im finalen Papier von September nicht mehr enthalten.
Die Synthetische Biologie wirft viele ethische Fragen auf, eine öffentliche gesellschaftliche Debatte fehlt jedoch bisher. Dabei geht es bei dem Vorhaben, Leben neu zu schaffen um ganz grundlegende Fragen. Was ist Leben überhaupt? Können Menschen Leben erschaffen? Kritiker merken an, dass Leben nicht nur das ist, was im Labor beschrieben werden kann, sondern dass Leben Entwicklung bedeutet, die nicht berechenbar und kontrollierbar ist. "Lebende Maschinen", von denen in diesem Zusammenhang gern gesprochen wird, sind demnach ein Widerspruch an sich. Wenn Menschen zukünftig bestimmen, wie Leben aussieht, ist das besser, als es der Natur zu überlassen?
Eine Gefahr der Synthetischen Biologie liegt ähnlich wie bei der Anwendung der Agro-Gentechnik darin, dass wir nicht wissen, wie sich Lebewesen mit künstlichem Genom in der Natur verhalten. Gleichzeitig ist es schwierig, sie von natürlichen Lebewesen zu unterscheiden oder sie zu kontrollieren.
Sicher ist, dass es bei der Synthetischen Biologie darum geht, Leben verwertbar, patentierbar zu machen. Testbiotech aus München merkt an, dass sich Öl- und Chemie-Konzerne erhebliche Einnahmen durch die Nutzung synthetischer Organismen versprechen. Die Energieausbeute von Rohstoffen soll mit künstlich hergestellten Mikroorganismen optimiert werden. Der Klimaschutz wird dabei als Grund für den Einsatz von sogenannten Synthie-Fuels herangezogen. Der ökologische Nutzen ist dabei jedoch sehr fraglich.
Im Gegenteil, durch die unkontrollierte Verbreitung von künstlichen Organismen drohen ökologischen Gefahren. Auch die Konkurrenz um landwirtschaftliche Flächen, die zur Herstellung von Rohstoffen benötigt werden, könnte zunehmen. Trotzdem werden diverse Projekte im Bereich der Synthetischen Biologie mit EU-Geldern gefördert.
Organisationen wie Testbiotech, Friends of the Earth und ETC Group fordern deshalb gesetzliche Kontrollen und Regularien für die Arbeit mit der Synthetischen Biologie, die es bisher nicht gibt. Die weitere Entwicklung und Anwendung der Synthetischen Biologie, vor allem von staatlichen Geldern unterstützt, müsse solange gestoppt werden.
Testbiotech:
Synthetische Biologie und künstliches Leben - Eine kritische Analyse (Teil 1)
Die Erzeugung und Nutzung von Biokraftstoffen der zweiten Generation („Synthi-Fuels“) (Teil 2)
Friends of the Earth:
Einführung und Anwendungsbeispiele - Synthetic Biology 101
Institute for Agriculture and Trade Policy (IATP):
Eine öffentliche Debatte über die synthetische Biologie findet in Deutschland kaum statt. Zwar gibt es einzelne Medienberichte, doch wesentlich weniger als beispielsweise über die Agro-Gentechnik. Etwas mehr Aufmerksamkeit erfuhr das Thema 2010, als der Biochemiker Craig Venter, der an der Entschlüsselung des menschlichen Genoms arbeitet (und umstrittene Patente hält), bekannt gab, den ersten künstlichen Organismus geschaffen zu haben.
Das mediale Interesse nahm danach aber wieder ab, fand der Kommunikationswissenschaftler Markus Lehmkuhl von der Freien Universität Berlin heraus. Er meint: solange die Politik sich nicht einschaltet, z.B. mit Vorschlägen zur Regulierung der synthetischen Biologie, wird die Diskussion über Für und Wider der Technologie - und damit zusammen hängende ethische Fragen - nicht in Fahrt kommen.
Manche, wie der Vorsitzende der kanadischen ETC Group, Pat Mooney, sind aber auch der Meinung, dass das Zeitfenster für ethische Fragen schon wieder geschlossen sei. Es seien schon zu viele Millionen in die synthetische Biologie, vor allem bei Biokraftstoffen, investiert worden - auch an öffentlichen Forschungsgeldern: "Wenn zahlreiche Unternehmen und große Wirtschaftszweige riesige Summen in Joint Ventures und Partnerschaften mit neu gegründeten Firmen stecken und Produktbeteiligungen erwerben - und es gibt bereits solche Produkte am Markt –, dann nimmt die Wahrscheinlichkeit, dass man auf Ethik- oder Gesetzesvertreter hört, ganz rapide ab."
Lehmkuhl 2011: Die Repräsentation der synthetischen Biologie in der deutschen Presse
Mooney 2011: Vortrag bei der Tagung des Deutschen Ethikrates (S. 107-115)
Eines der konkretesten Anwendungsfelder für die Synthetische Biologie ist die Bioökonomie, d.h. aus Biomasse sollen Kraftstoffe, Werksmaterialien oder Zusatzstoffe für Lebensmittel gewonnen werden. Doch woher soll die dafür nötige Masse kommen? Die ETC Group meint: noch mehr Kleinbauern werden von ihrem Land vertrieben werden.
Synthetic Biology: The Bioeconomy of Landlessness and Hunger (2013)
Drei Wissenschaftsgremien der EU haben sich intensiv mit Synthetischer Biologie beschäftigt:
Lesenswerte Einführung der ETC Group.
Sie beschreibt den Übergang vom DNA lesen ("alte" Gentechnik) zum DNA schreiben (synthetische Biologie).
ETC: Extreme Genetic Engineering: An Introduction to Synthetic Biology (2007)
Kleine Anfrage der SPD-Fraktion zum Stand und Perspektiven der Synthetischen Biologie
Antwort des BMBF, 18.03.11
Die Spezial-Ausgabe des Gen-ethischen Informationsdienstes zum Thema Sythetische Biologie finden Sie hier:
GID Spezial Nr. 10, Dezember 2010
Was ist synthetische Biologie? SynBioWatch über Grundidee, Anwendungen, Businessmodelle (10 Min.)
Pat Mooney, Geschäftsführer der kanadischen ETC Group, spricht über massive Investitionen großer Konzerne in Biomasse und synthetische Biologie
Ein Podcast der Wissenschaftsredaktion des Guardian zu synthetischer Biologie: Befürworter und Skeptiker kommen genauso zu Wort.
Ein Biologe sagt: "Ich bin überrascht davon, wie wenig die Leute, die Ingenieurstechniken [der synthetischen Biologie] einsetzen, über die natürlichen Systeme nachdenken, aus denen sie ihre Teile herausholen. Sie sprechen beispielsweise von den Zellen als 'Chassis'. Mit dieser Sprache distanzieren sie sich von der Tatsache, dass das tatsächlich lebende Organismen sind."
Britische Regierungseinrichtungen organisierten 2009 und 2010 einen Dialog über synthetische Biologie. Wissenschaftler sollten mit Verbraucherschützern, Privatleuten und Unternehmern ins Gespräch kommen. Ein Bericht fasst die unterschiedlichen Standpunkte zusammen.
Ernüchterung für Fans von leuchtenden Gentech-Pflanzen (16.08.16)
Süddeutsche: Synthetische Biologie - Forscher erschaffen Bakterium mit Minimalgenom (25.03.16)
CRISPR als Teil der Synthetischen Biologie (28.01.16)
EU-Forscher: Synbio ist Risiko für biologische Vielfalt (10.12.15)
Synthetische Biologie: Vorsorge statt „Wilder Westen“ (29.10.14)
The Ecologist: Re-engineering life? The dangers of 'next generation' biofuels (30.09.15)
Reuters PE Hub: Synthetic biology goes for scale (02.09.14)
Häagen-Dazs verzichtet auf Synbio-Vanille (28.08.14)
Friends of the Earth: Häagen-Dazs says no to synbio (26.08.14)
Huffington Post Blog: Ecover, Come Clean About Using Extreme Genetic Engineering in Your Products (08.08.14)
Ecover wegen Synbio-Waschmittel in der Kritik (02.06.14)
Agrar- und Erdölriesen arbeiten mit Synthetischer Biologie (27.05.14)
Dailymail/AAP: Aussies join bid to create artificial life (26.05.14)
Internationale Debatte über Synthetische Biologie (21.05.14)
Kaum jemand kennt „Synthetische Biologie“ (15.05.14)
Der Spiegel: Manipuliertes Erbgut: Biologen erschaffen ersten Organismus mit künstlichen Bausteinen (08.05.14)
Süddeutsche: Synthetische Biologie - Grenzen für die Wissenschaft (31.03.14)
L'Oréal nutzt synthetische Biologie für Kosmetik (10.02.14)
The Guardian: Craig Venter: 'This isn't a fantasy look at the future. We are doing the future' (13.10.13)
Washington Post: Glowing plant project on Kickstarter sparks debate about regulation of DNA modification (04.10.13)
SWR: Leben aus dem Baukasten: Synthetische Biologie (04.10.13)
Der Standard: "Für weltweite Ächtung des Klonens von Menschen", Molekularbiologe äußert sich skeptisch gegenüber Biohacking und den Möglichkeiten der Synthetischen Biologie (24.09.13)
Bakterien mit Computer-Genen produzieren Vanille-Aroma (10.09.13)
Wired: Biohacking goes industrial: six examples of future biotech products (13.08.13)
Scinexx: Synthetische Biologie: Neue Materialien für die biobasierte Wasserstoffsynthese (12.08.13)
BloombergBusinessweek: Craig Venter on the Hail Mary Genome and Synthetic Meat (08.08.13)
Crowdfunding-Plattform zu Projekt der synthetischen Biologie: Keine Gentechnik als Belohnung (05.08.13)
Andy Balmer: Can Scientists Engage Critically with Capitalism? (30.07.13)
France 24: Synthetic biology: creating life from scratch (22.07.13)
„Wegkommen vom Öl“: Bundesregierung fördert Biotechnologie (17.07.13)
BBC: Will synthetic biology become a GM-style battleground? (12.07.13)
BBC: Scientists building the world's first synthetic yeast (11.07.13)
Die Presse: Biologie: Die Erde mit Pflanzen illuminieren? (05.06.13)
7.000 US-Amerikaner mit Leuchtpflanzen im Vorgarten (30.05.13)
New York Times: A Dream of Trees Aglow at Night (07.05.13)
Tagesspiegel Interview: „Wir können Leben nachstellen“ (20.02.13)
Ministerium verheimlicht Förderung Synthetischer Biologie (06.04.11)
dradio: Die künstliche Zelle (02.09.10)
Le Monde Diplomatique: Schöpfung zwei (13.08.10)
Spiegel: Erster künstlicher Organismus (21.05.10)
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