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Interview: „Nullkommanull heißt nullkommanull!“

In der Europäischen Union gilt derzeit eine „Nulltoleranz“ gegenüber Spuren von Gentechnik in Pflanzen-Saatgut. Im Interview erklärt Gebhard Rossmanith, Vorstandsvorsitzender des Öko-Zuchtunternehmens Bingenheimer Saatgut, warum diese Regelung nicht aufgeweicht werden darf, wie es Gentechnik-Konzerne und Teile der Politik vehement fordern.

Nulltoleranz heißt, dass Saatgut nicht verkauft werden darf, wenn darin Spuren von gentechnisch veränderten Pflanzen festgestellt werden, die über keine Zulassung für den EU-Markt verfügen – hier also nicht einmal oberflächlich auf ihre Sicherheit geprüft wurden. Sind die Pflanzen zugelassen, so muss das verunreinigte Saatgut entsprechend gekennzeichnet werden. Die Agrar-Industrie fordert angesichts des außerhalb Europas zunehmenden Gentechnik-Anbaus eine Auflockerung der bisherigen Regeln. Der Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter - eine Interessenvereinigung global agierender Saatgut-Konzerne wie Monsanto, Syngenta, DuPont und Dow - lancierte dazu erst gestern eine Pressemitteilung. Darin plädiert der Verband für „praktikable Saatgutschwellenwerte“ bei Maissaaten und argumentiert mit „existenzbedrohender Rechtsunsicherheit“. Gleichzeitig wird allerdings eingeräumt, dass im letzten Jahr nur zehn Proben positiv waren - weniger als 2011.

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Infodienst (ID): Die Agrar-Industrie fordert immer wieder, die Nulltoleranz für nicht-zugelassene Gentechnik-Organismen in Saatgut aufzuweichen. Ansonsten drohe die Rückweisung vieler Importrohstoffe und letztlich Versorgungsengpässe. Überzeugt Sie diese Argumentation?

Gebhard Rossmanith (GR): Überhaupt nicht. Nein. Weil erstens alle bisherige Praxis, zumindest hier in Deutschland, gezeigt hat, dass die Nulltoleranz und eine möglichst gute Kontrolle dafür sorgen, dass faktisch kaum Verunreinigungen auftreten. Die Kontrollen, auch wenn sie nicht flächendeckend waren, haben dafür gesorgt, dass die Firmen sehr stark aufpassen. Zweitens, wenn man es zulassen würde, unter einer bestimmten Grenze eine Verunreinigung nicht deklarieren zu müssen, hätte man bei bestimmten Pflanzenkulturen sehr schnell das Problem, dass man dann die Grenze weiter verschieben muss. Das funktioniert also alles nur auf Zeit.

Ich war kürzlich auf einer Veranstaltung in Brüssel, wo die Vertreter der Saatgut-Industrie Europas, und allen voran ein Vertreter von Monsanto, sehr lautstark verkündeten, der freie Warenverkehr sei durch die Nulltoleranz behindert und sie müssten so viel kontrollieren. Das wäre alles viel zu teuer und deshalb erwarten sie, dass das Problem endlich gelöst wird durch die Einführung eines Schwellenwerts. Da habe ich mich gemeldet und habe gesagt, dass ich es unmöglich finde, dass ausgerechnet diese Firma, die das Problem hauptsächlich verursacht, sagt, sie brauche das Recht eines freien Warenverkehrs. Denn wir sind auch Inverkehrbringer in Europa. Und unsere Kunden erwarten ein hunderprozentiges Null, weil sie wiederum ihren Kunden verpflichtet sind. Wir müssen sehr viel Geld für Kontrollen ausgeben. Wir wollen unsere Arbeit weiter machen können, ohne dass wir allein das Risiko tragen. Also habe ich gefordert, das Problem abzuschaffen – und das ist die Gentechnik.

ID: In den letzten Jahren wurden in Deutschland nur selten Verunreinigungen festgestellt. Ist die ganze Debatte überhaupt nötig?

GR: Sie ist nötig, weil wir zwar derzeit keine direkten GVO-Einträge aus der Landwirtschaft haben, zumindest in Mitteleuropa, aber die Saatgut-Industrie in Brüssel sehr stark darauf drängt, einen flächendeckenden Schwellenwert einzuführen. Dann hätten wir die Folge, dass es in Gesamteuropa in wenigen Jahren eine flächendeckende Verseuchung mit Gentechnik geben wird – auch ohne weitere Anbaugenehmigungen. Das ist das dickste Problem. Nur solange es die Nulltoleranz gibt, werden die Unternehmen ihre Kontrollen machen. Sie werden zwar schimpfen, aber das ist der beste Schutz, den wir haben.

ID: Wäre ein Schwellenwert von 0,1 Prozent wirklich so schlimm?

GR: Der Schwellenwert von 0,1 Prozent ist deswegen schlimm, weil es sich um Saatgut handelt. Bei Endprodukten kann ich es verstehen, wenn es schon eine Grundverunreinigung im Land gibt, wie das beispielsweise mit diversen Pestiziden, Dioxin, usw. ist. Der Öko-Landbau kann sich nicht wie eine Insel abschotten. Da muss man einen Schwellenwert akzeptieren, so traurig das ist. Gleichzeitig muss man alles tun, um die Quellen für die Verunreinigung zu beseitigen. Aber Gentechnik ist eben ein Saatgut-Problem. Wenn bei uns GVO-Verunreinigungen gefunden werden, zum Beispiel beim Zuckermais, dann werden wir die Charge vernichten. Egal wie gering die Verunreinigung ist. Weil wir unseren Kunden nichts verkaufen können, was auch nur ansatzweise mit GVO belastet ist.

ID: Welche Kosten entstehen in Ihrem Unternehmen zurzeit für die Verhinderung von gentechnischen Kontaminationen?

GR: Derzeit ist es der Mais, der uns Sorge bereitet. Sämtliche Zuckermais-Chargen, die wir haben, werden intensiv getestet. Und zwar nicht nur die Mindestmenge, sondern sehr viel höhere Konzentrationen. Dennoch sind das Kosten, die sich momentan im unteren vierstelligen Bereich bewegen, weil es sich aktuell eben nur um Mais handelt. Wir rechnen mit 250 Euro pro Charge, dazu kommen aber noch Verwaltungs- und Dokumentationsaufwand. Das kann aber noch erheblich mehr werden. Hätte KWS [deutsches Saatgut-Unternehmen, dass auch Gentechnik-Pflanzen entwickelt, Anm. d. Red.] die Pläne für Versuche mit Gentechnik-Zuckerrüben in diesem Jahr nicht zurückgezogen, hätten wir für rote Beete, Spinat und Mangold erhebliche Aufwendungen leisten müssen. Wir hätten alle Standorte durchchecken und weite Bögen um die Felder der KWS machen müssen, weil sich die Zuckerrübe über den Wind verbreitet. Das hätte eine große Gefahr für unsere Pflanzen bedeutet. Dann hätten wir viel größere Abstände einhalten müssen, was ebenfalls Kosten verursacht.

ID: Haben Sie eine Versicherung, die im Schadensfall, also Verunreinigungen mit Gentechnik-Organismen, eintritt?

GR: Die haben wir nicht und die gibt es auch gar nicht. Es gibt keinen Versicherer, der das abdeckt.

ID: Bundesagrarministerin Ilse Aigner hat sich letztes Jahr für die Nulltoleranz bei Lebensmitteln und Saatgut ausgesprochen. Zuvor war sie auf EU-Ebene allerdings daran beteiligt, dass die Nulltoleranz bei Futtermitteln für Tiere abgeschafft wurde. Was fordern Sie von der deutschen Politik?

GR: Wir können nur fordern, dass die Nulltoleranz für Gentechnik bei Saatgut verteidigt wird, wo es nur geht. Bei Endprodukten bin ich Realist genug und sage, da muss man eine gewisse Schwelle akzeptieren können. Bei Futtermitteln ist die Situation ja noch schwieriger, weil es derzeit gar keine Kennzeichnungen der damit hergestellten Produkte gibt. Aber bei Saatgut müssen wir bei der Nulltoleranz bleiben. Es bleibt uns gar keine andere Wahl. Nullkommanull heißt nullkommanull, und nichts Anderes! Sonst haben wir aufgrund der schnellen Ausbreitung der Produkte bald eine Situation, dass wir auch geringe Schwellenwerte künftig nicht werden halten können.

Ein wesentliches Gegenargument, das man immer wieder hört, ist: „Das ist nicht leistbar, das ist zu teuer, das ist nicht kontrollierbar.“ Ich sage ganz deutlich: Selbstverständlich ist es leistbar, denn wir tun es ja schon heute. Wir fordern, dass jede Charge zweifach getestet wird. Erstens vom Inverkehrbringer, zweitens von einer Behörde. Unabhängig voneinander und vor dem Inverkehrbringen. Nicht nachher, so wie es jetzt leider ist. Das Problem, dass Bauern ihre Felder umbrechen müssen, weil Verunreinigungen auftreten, kommt nur daher, dass etwas verkauft wird und die Behörden hinterher hecheln. Und wenn dann noch jemand sagt, das sei zu teuer, sagen wir: „Das verstehen wir.“ Genau da setzt unsere nächste Forderung an, nämlich das Verursacherprinzip. Für die Verunreinigungen sollen nicht diejenigen bezahlen, die dafür nichts können, sondern die Verursacher. Wenn der Gentechnik-Organismus also von Pioneer kommt, dann muss Pioneer bezahlen, wenn er von Monsanto kommt, muss Monsanto zahlen, usw.

ID: EU und USA wollen demnächst über ein Freihandelsabkommen verhandeln. Jenseits des Atlantiks gibt es kaum Beschränkungen für die Gentechnik-Industrie und ihre Produkte. Was käme aus Ihrer Sicht auf europäische Saatgutzüchter, Landwirte und Verbraucher zu?

GR: Dann hätten wir tatsächlich einen enormen Druck auf die europäische Politik, die selben Verhältnisse einzuführen, wie es sie in den Vereinigten Staaten gibt. Das wäre ein Drama. Eine Katastrophe. Noch schützt das europäische Saatgutverkehrsgesetz davor – obwohl es natürlich viele Schwächen hat und für viele unangenehm ist – dass unkontrollierte und nicht gekennzeichnete Gentechnik nach Europa kommt und unbemerkt auf den Markt gelangt. Das ist auch ein Schutz vor Wildwuchs der Riesen-Industrie, die es ja leider gibt.

ID: Wie viel ökologisches Saatgut ist heute überhaupt für Landwirte und Gärtner verfügbar?

GR: Zunächst ist es ja eine Arbeit, die sich an den Ökolandbau richtet. Weil es von Öko-Bauern für die Kollegen gemacht wird. Bingenheimer Saatgut ist ja auch Teil eines Netzwerkes und keine herkömmliche Firma. Das heißt nicht, dass konventionelle Landwirte oder Menschen mit einem normalen Hausgarten unsere Arbeit nicht nutzen können. Aber die Richtung ist erst mal klar. In bestimmten Bereichen haben wir auch durchaus Erfolg, zum Beispiel bei Getreide. Da gibt es eine gute Marktdurchdringung mit Öko-Saatgut, mit wirklich guten Sorten, die auch dem wirtschaftlichen Druck aushalten, den die Bauern und die Mühlen spüren. Das ist im Wachsen. Solange alle an einem Strang ziehen, schaffen wir dadurch mehr Unabhängigkeit von großen Firmen wie Monsanto und Syngenta.

Bei Gemüse sind wir davon leider noch weit entfernt. Dort ist der Selbstversorgungsgrad mit Saatgut seit 50 Jahren nahezu bei null, weil die Aufwendungen höher sind. Die Landwirte und Gärtner haben das schon lange abgegeben, auch im Ökolandbau. Deshalb ist die Abhängigkeit von den konventionellen Unternehmen bei Gemüse viel größer. Da sind wir von einer stabilen Alternative noch ein Stück entfernt. Denn es gibt in Deutschland kaum noch Gemüsezüchter. Das Saatgut kommt überwiegend von sehr großen Firmen wie Bayer CropScience und Monsanto, die viele Zuchtunternehmen aufgekauft haben. Und die sind noch nicht am Ende ihrer Einkaufstour. Wir brauchen einfach mehr Betriebe, die sich an der Saatgut-Zucht beteiligen. Aber im Vergleich zu der Zeit, als ich hier vor zwölf Jahren angefangen haben, hat sich die Situation mittlerweile doch deutlich verbessert. Die ökologische Züchtung hat sich gut entwickelt. Und wir können froh sein, dass zumindest bei der aktiven Anwendung von Gentechnik in Europa zurzeit Ruhe herrscht. [Interview: dh]

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