Mehr als 100 Verbände und Institutionen in Deutschland und Österreich haben ihre Regierungen aufgefordert, sich bei der Europäischen Kommission dafür einzusetzen, dass Produkte neuer gentechnischer Verfahren wie Crispr/Cas auch künftig auf Risiken geprüft und gekennzeichnet werden. Anlass ist eine Studie der EU-Kommission zur Regulierung neuer Gentechnik in der Landwirtschaft, die am 30. April vorgestellt werden soll. Die Verbände befürchten, dass Kommission und EU-Mitgliedsstaaten die geltenden strengen Regeln aufweichen wollen.
„Seit Jahren lobbyieren Industrie und gentechnikfreundliche Politiker*innen dafür, neue Gentechnikverfahren wie Crispr/Cas von der Gentechnik-Gesetzgebung auszunehmen“, schreiben 94 deutsche Verbände und Organisationen in einem Positionspapier, das heute veröffentlicht wurde. Ziel sei, die derzeitige Definition von Gentechnik aufzuweichen, die zuletzt vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) im Sommer 2018 präzisiert worden war. „Das gefährdet die Wahlfreiheit und die Sicherheit von Mensch und Umwelt“, warnen die Organisationen aus vielfältigen Gesellschaftsbereichen, von Land- und Lebensmittelwirtschaft über Umwelt- und Klimaschutz bis zu Kirche und Entwicklungspolitik. Und alle sind sich einig: „Wir fordern die Bundesregierung auf, in Deutschland und auf europäischer Ebene alle vorhandenen wie künftigen Gentechnikmethoden und die daraus entstehenden gentechnisch veränderten Organismen (GVO) weiterhin unter dem bestehenden EU-Gentechnikrecht zu regulieren und zu kennzeichnen.“
Zur Begründung verweisen sie auf das erhöhte Risikopotential der neuen Techniken, die schneller und tiefer in das Erbgut von Pflanzen und Tieren eingreifen als die alte Gentechnik. Diese Risiken müssten nach dem europarechtlichen Vorsorgeprinzip auch künftig geprüft und bewertet werden, bevor solche Produkte auf den Markt kommen. Und weil die Mehrheit der Verbraucher*innen sie nicht auf dem Teller haben wolle, müssten sie wie bisher gekennzeichnet werden, heißt es in dem Papier. Die Betriebe der Land- und Lebensmittelwirtschaft, die diesen Mark bedienten - sei es ökologisch oder konventionell -, hätten ein „Recht auf gentechnikfreie Erzeugung“. „Diejenigen, die Gentechnik nutzen wollen, müssen haften, wenn Saatgut, Ernten, die Futter- oder Lebensmittelkette verunreinigt werden oder es zu Rückrufaktionen kommt“, sagt etwa Elisabeth Waizenegger, Vorstandsmitglied bei der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft.
Um Pflanzen, Tiere und Umwelt zu schützen, sollten gentechnisch veränderte herbizidtolerante und Insektizid-produzierende Pflanzen verboten werden, fordern die 94 Organisationen, ebenso Gentechnik in der Tierzucht. Um illegale GVO in Europa aufspüren zu können, brauche es schnell ein globales, öffentlich zugängliches Register, das transparente Informationen über alle GVO enthält, die freigesetzt, angebaut oder vermarktet werden. Auf dieser Basis müssten zügig Nachweisverfahren für neue Gentechnik entwickelt werden, mit denen sich Importe konsequent auf gentechnisch veränderte Pflanzen, Tiere und Produkte kontrollieren lassen.
Ähnlich appellierten kürzlich 18 österreichische Umwelt-, Agrar- und Verbraucherorganisationen an ihre Bundesregierung, „sich in der europäischen Debatte zur Neuen Gentechnik konsequent für die Beibehaltung des etablierten EU-Gentechnikrechts gemäß EuGH-Urteil vom Juli 2018 stark zu machen“. Dazu gehören laut der Allianz strenge Zulassungsverfahren mit Risikobewertung, Nachweisbarkeit, Rückverfolgbarkeit und die Kennzeichnung gentechnisch veränderter Produkte. Sie riefen ihre Gesundheits-, Umwelt- und Landwirtschaftsminister dazu auf, sich in den europäischen Gremien dafür einzusetzen, diese Regeln beizubehalten. Der österreichische Gesundheitsminister Rudolf Anschober hatte sich in der Vergangenheit wiederholt dafür ausgesprochen, das Vorsorgeprinzip einzuhalten und das EuGH-Urteil vom Juli 2018 zur neuen Gentechnik umzusetzen. Der 64jährige ist jedoch kürzlich aus Gründen der Arbeitsüberlastung durch die Corona-Pandemie zurückgetreten. [vef]