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„Chemie-basierte Landwirtschaft schlägt sich mit eigenen Waffen“

Monokulturen, chemische Pflanzenschutzmittel und Hochleistungsdünger: so sieht die Landwirtschaft heute vielerorts in Europa aus – in den USA kommt noch die Agro-Gentechnik hinzu. Durch Milliarden an Steuergeldern und Forschungsmitteln, die Chemieunternehmen wie BASF zur Verfügung stellen, wird das System aufrecht erhalten. Doch kann es ewig so weitergehen? Nein, sagen die Agrarwissenschaftlerin Andrea Beste und der Journalist Stephan Börnecke. Ihre Analyse der gravierenden Missstände – und möglicher Auswege – stellten sie heute in Berlin vor.

Massentierhaltung, Auslaugung der Böden, steigender Pestizideinsatz, Billig-Lebensmittel. Die Bilanz der industrialisierten Landwirtschaft fällt bestenfalls durchwachsen aus. Die Erträge, die so erwirtschaftet werden, sind angesichts der Kosten eher bescheiden. Als Beispiel könne Großbritannien gelten, erklärte Börnecke, der 30 Jahre lang für die Frankfurter Rundschau schrieb. Die Insel galt einst als eine der Kornkammern Europas, lieferte sich bei der Getreideproduktion ein Duell mit Neuseeland. Doch zuletzt hätten die Erträge stagniert, berichtete Börnecke. Heute lägen sie auf dem Niveau von vor zehn Jahren.

Dabei ist die britische Landwirtschaft durchmodernisiert. So werde auf 80 Prozent der Weizenfelder das Spritzmittel Glyphosat, die Nummer eins unter den Herbiziden, eingesetzt. Doch womöglich schadet die einseitige Ausrichtung auf chemische Unkrautbekämpfung und Monokultur viel mehr als sie nützt. Hier habe sich gezeigt, dass „die chemie-basierte Landwirtschaft an ihre Grenzen stößt, weil sie sich mit ihren eigenen Waffen schlägt,“ bilanzierte Börnecke. Denn mit dem Fruchtwechsel, der früher zur guten fachlichen Praxis der Bauern gehörte, verschwinden Nützlinge, während der Boden übersäuert wird. Überhaupt gälten in Europa schon 17 Prozent der Böden, die die Grundlage für jede Ernährung bilden, als degradiert, erklärte Agrarwissenschaftlerin Beste. Sie seien nährstoffarm und könnten das Wasser nicht mehr halten – keine guten Voraussetzungen, um mit einem sich wandelnden Klima zurecht zu kommen.

Doch muss Europa nicht möglichst viel produzieren, um die Welt ernähren zu können? Nein, glaubt Beste, und das sei auch gar nicht möglich. Denn in Europa exportiert vor allem Billigfleisch, mit dem andernorts die Märkte überflutet werden. Das Futter für die Tiere stammt größtenteils von Gentechnik-Plantagen in Südamerika. Riesige Flächen fehlen so für die menschliche Ernährung, denn es braucht mehrere Pfund Getreide, um nur ein Pfund Rind-, Schweine- oder Hühnerfleisch zu erzeugen, wie die Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen aufzeigt. Dabei werde eigentlich schon heute genug Nahrung für elf Milliarden Menschen produziert – bei einer Weltbevölkerung von „nur“ sieben Milliarden – warf der Professor für ökologischen Landbau an der Uni Kassel, Hartmut Vogtmann, ein. Er war jahrelang Präsident des Bundesamts für Naturschutz und ist heute Präsident des Deutschen Naturschutzsrings (DNR).

Doch der Großteil der pflanzlichen Kalorien wandert in Futtertröge. Von den Fleischmassen profitierten jedoch noch nicht einmal die hiesigen Bauern unbedingt. Denn sie, so die Agrarwissenschaflerin Beste, bekommen heute nur noch 20 Cent für jeden Euro, der mit Fleisch verdient wird – im Jahr 1950 waren es umgerechnet noch 67 Cent. Der größte Gewinn bleibt bei der Lebensmittelindustrie, dem Handel und den Chemie-Riesen. Für Beste, Börnecke und Vogtmann ist deshalb klar: es braucht dringend eine Agrarwende, hin zu ökologischen Methoden. Dass diese mit den konventionellen gut mithalten können, dabei aber wesentlich weniger Energie benötigen und die Umwelt schonen, haben Langzeitversuche gezeigt, beispielsweise am Rodale Institut in den USA. Dafür ist jedoch auch ein Umdenken nötig, ist Vogtmann überzeugt. Einerseits bei der Agrarforschung, die immer noch stark von den Fördertöpfen großer Chemieunternehmen abhängig sei. Andererseits auch bei den Verbrauchern. „Wir müssen über unsere Ernährungskultur reden“, forderte Vogtmann. Doch für einen Dialog auf Augenhöhe stimmen derzeit die Vorzeichen nicht. So gebe die Lebensmittelindustrie jährlich 13,80 Euro pro Verbraucher für Informationskampagnen und Werbemaßnahmen aus. Mehr oder weniger neutrale Informationen, zum Beispiel von Verbraucherschutzbehörden, kämen hingegen gerade einmal auf 3 Cent, so der Professor.

Der grüne Europaparlamentarier Martin Häusling, der die Studie von Börnecke und Beste herausgab, warnte bei der Vorstellung erneut vor dem Freihandelsabkommen zwischen EU und USA. Dieses „kann alles zunichte machen“, was in Brüssel mühsam für eine Korrektur des Agrarsystems erreicht wurde. Denn die USA fordern eine vollständige Marktöffnung für ihre Produkte – für Fleisch von geklonten Tieren genauso wie Gentechnik-Pflanzen. Die vorsichtige Haltung vieler EU-Staaten gegenüber transgenen Organismen sehe Washington als „Handelshindernis“, berichtete Häusling von einem Treffen mit US-Agrarminister Tom Vilsack. Doch darauf dürfe sich Europa keineswegs einlassen, meinte der Abgeordnete. Vielmehr müssten endlich Alternativen unterstützt werden. „Aus meiner Sicht wird immer deutlicher, dass nur der ökologische Landbau in der Lage ist, und zwar gerade in Zeiten des Klimawandels, die Menschheit dauerhaft gut und gesund zu ernähren.“ [dh]

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