Vor mehr als einem Jahr hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass Produkte neuer gentechnischer Verfahren wie Crispr/Cas9 unter das Gentechnikrecht fallen. Am 8. November forderten die Mitgliedsländer der Europäischen Union die künftige EU-Kommission nun auf, bis zum Frühjahr 2021 zu untersuchen, was das Urteil für Konsequenzen hat. Gegebenenfalls soll sie „erforderliche Maßnahmen“ vorschlagen.
Die Entscheidung des EuGH habe zwar den Rechtsstatus neuer Mutageneseverfahren geklärt, zugleich aber einige praktische Fragen für nationale Behörden, Wirtschaft und Forschung aufgeworfen, begründete der Rat der Europäischen Union seinen Beschluss. Dazu gehört die Frage, wie angesichts winziger Veränderungen im Genom festgestellt werden kann, dass etwa eine Pflanze mit der Genschere Crispr/Cas9 verändert wurde. Es müsse geklärt werden, heißt es in dem Beschluss, wie die Einhaltung der Freisetzungsrichtlinie sichergestellt werden könne, „wenn mittels neuer Mutageneseverfahren gewonnene Erzeugnisse sich mit aktuellen Methoden nicht von Erzeugnissen, die aus natürlicher Mutation hervorgegangen sind, unterscheiden lassen“. Die Freisetzungsrichtlinie bestimmt unter anderem, dass gentechnisch veränderte Pflanzen und Tiere auf ihre Risiken geprüft, gekennzeichnet werden und rückverfolgbar sein müssen. Der Nachweis von Veränderungen durch neue Gentechnikverfahren ist bislang jedoch nur unzureichend geregelt und erforscht.
Die Studie der EU-Kommission solle ferner ermitteln, wie gewährleistet werden kann, dass importierte und innerhalb der EU hergestellte Produkte gleichbehandelt werden. Hintergrund ist, dass einige Staaten außerhalb Europas genomeditierte Produkte nicht wie Gentechnik prüfen und kennzeichnen. Daher bitten die EU-Mitgliedsstaaten die EU-Kommission auf Initiative der finnischen Ratspräsidentschaft „eine Untersuchung im Lichte des Urteils des Gerichtshofs in der Rechtssache C-528/16 zu dem Status neuartiger genomischer Verfahren im Rahmen des Unionsrechts zu unterbreiten“. „Falls das angesichts der Ergebnisse der Untersuchung angemessen ist“, möge die Kommission auch einen Vorschlag nebst Folgenabschätzung unterbreiten. Was mit diesem „Vorschlag“ genau gemeint ist, bleibt offen.
Spanien und die Niederlande geben in einem Statement ihrer Hoffnung Ausdruck, dass das Gentechnikrecht vorbehaltslos darauf überprüft wird, ob es angesichts der wissenschaftlichen Entwicklung noch effizient und angemessen ist. Schweden legt besonderen Wert darauf, dass die Studie Kostenabschätzungen enthält. Wie das Bundesagrarministerium auf Anfrage mitteilte, lägen weitergehende Informationen dazu, welche Fragen die Studie im Detail beantworten und wer sie durchführen werde, derzeit nicht vor. Der Beschluss des Rates bezieht sich auf eine Vereinbarung unter den drei Institutionen der EU – Rat, Parlament und Kommission -, die seit 2016 die gemeinsame Rechtssetzung regelt. Dort finden sich auch Details zur Kostenabschätzung im europäischen Kontext.
„Wir verstehen diesen Beschluss als ersten Schritt, die neuen gentechnischen Verfahren aus dem Gentechnikrecht herauszunehmen“, interpretiert Mute Schimpf von Friends of the Earth (Freunde der Erde) die Entscheidung auf Initiative Finnlands. Die Finnen, deren Ratspräsidentschaft zum 31. Dezember endet, wollen die neuen Gentechnikverfahren weniger streng regeln, als die „alte“ Gentechnik. Sechs EU-Staaten, die Gentechnik lieber gut überwachen wollen, warnen vor den Risiken: „Im Blick auf das Ziel, die Umwelt und die menschliche Gesundheit zu schützen, und unter Beachtung des Vorsorgeprinzips erfordert jede Technik, die Gene für Zwecke der Landwirtschaft in einer Weise verändert, wie das natürlicherweise nicht vorkommt, eine besondere Vorsicht“, heißt es in einer Stellungnahme, die unter anderem Polen, Luxemburg und Zypern unterzeichnet haben. Die Staaten sprechen sich dafür aus, „das aktuelle Schutzlevel“, also die Kontrolle nach geltendem Gentechnikrecht, zu erhalten.
Wie das Bundesagrarministerium dem Infodienst Gentechnik auf Anfrage mitteilte, hat sich Deutschland bei der vorbereitenden Abstimmung über diesen Beschluss im Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedsstaaten enthalten. Denn die Parteien der großen Koalition sind sich bei der Frage uneins, wie neue gentechnische Verfahren rechtlich behandelt werden sollten. Zur endgültigen Abstimmung im Rat der Wirtschafts- und Finanzminister am 8. November teilte eine Sprecherin des Agrarministeriums mit, eine nach Ländern aufgegliederte Abstimmung finde bei der Annahme von Beschlüssen, bei denen bereits Einigung bestehe, durch den Rat nicht statt. Die EU-Kommission hat nun drei Monate Zeit mitzuteilen, welche Schritte sie in dieser Sache unternehmen wird. Die Niederlande und Spanien haben darum gebeten, die Mitgliedsstaaten auch während der Studie regelmäßig über Fortschritte zu informieren. [vef]