Eigentlich hatte das österreichische Glyphosatverbot Anfang des Jahres in Kraft treten sollen. Jetzt haben Europäische Kommission und Tschechien sich doch noch dagegen ausgesprochen – mit Hintertür. SPÖ und Grüne wollen Spritzmittel mit dem Totalherbizid in drei Monaten trotzdem verbieten. Dazu müsste allerdings die Agrarministerin der ÖVP umgestimmt werden.
Der Vorgang ist äußerst kompliziert: Will ein EU-Mitgliedsstaat Regelungen zu einem Produkt erlassen, die den EU-Binnenmarkt betreffen, muss er der EU-Kommission und den anderen Mitgliedsländern die Möglichkeit geben, sich innerhalb von drei Monaten dazu zu äußern. Der österreichische Gesetzentwurf zum Verbot glyphosathaltiger Spritzmittel wurde erst am 18. Mai 2020 formal korrekt in Brüssel eingereicht. Damit endete die dreimonatige Frist für Stellungnahmen am 18. August. An ebendiesem Tag teilte die EU-Kommission Österreich mit, dass sie keine ausreichenden rechtlichen und wissenschaftlichen Gründe für ein komplettes Verbot glyphosathaltiger Produkte in dem Alpenland sehe. Außerdem sei es nicht mit dem harmonisierten europäischen Pestizidrecht vereinbar. Das ÖVP-geführte Agrarministerium sprach von einer „Stellungnahme“ der EU-Kommission, welche die eigene Einschätzung bestätige, dass man Glyphosat nicht im Alleingang verbieten könne.
Wie so oft bei Gesetzen liegt die Tücke jedoch im Detail: Denn die EU-Kommission hat keine Stellungnahme im Rechtssinn abgegeben, sondern eine „Bemerkung“ gemacht. In Österreich hatte das vergangene Woche zu heftigem Interpretationsstreit geführt. Der Unterschied liegt in den Rechtsfolgen: Bei einer ausführlichen Stellungnahme muss der Mitgliedsstaat die Einwände der Kommission berücksichtigen; eine Bemerkung dagegen ist rechtlich nicht bindend. Wegen der Bedeutung des Themas Glyphosat habe man zwar seine Bedenken geäußert, schrieb die EU-Kommission dem Informationsdienst Gentechnik. Man wolle Österreich aber nicht daran hindern, das fragliche Gesetz zu erlassen. Die Kommission verwies darauf, dass es das Ziel ihrer aktuellen Strategie des Green Deal sei, den Pestizidverbrauch in Europa zu vermindern. Außerdem prüfe die EU die Risiken von Glyphosat derzeit im Rahmen eines neuen Zulassungsantrags, den die Hersteller im Dezember 2019 eingereicht hätten. Dabei sei man mit Österreich wie mit allen anderen Mitgliedsstaaten in ständigem Gespräch. Die aktuelle Zulassung des Pflanzengifts in der EU läuft Ende 2022 aus.
Eine Stellungnahme im rechtlichen Sinn gegen den österreichischen Alleingang kam am letzten Tag der Frist stattdessen von Tschechien. Nach Informationen der Umweltorganisation Global 2000 kritisieren die Tschechen, dass ein Verbot den freien Warenverkehr in der EU behindere. „Diese Stellungnahme hat aufschiebende Wirkung, die Frist für weitere Stellungnahmen verlängert sich dadurch um drei Monate bis Mitte November 2020“, teilte das österreichische Agrarministerium mit. Die SPÖ hat bereits angekündigt, diese Zeit nutzen zu wollen, „um parteienübergreifend, bei einem Runden Tisch mit Regierung, Opposition und ExpertInnen ein Glyphosat-Verbot vorzubereiten“. Der Fraktionschef der oppositionellen SPÖ im österreichischen Parlament, Jörg Leichtfried, setzt dabei auf den Einfluss der mitregierenden Grünen auf ihren Koalitionspartner ÖVP. Er gehe davon aus, dass auch die Grünen gegenüber ihrem Koalitionspartner Druck machen werden, um ein Verbot zu erreichen, so Leichtfried. Von einer möglichen Klage gegen Österreich beim Europäischen Gerichtshof lasse man sich nicht abschrecken.
Greenpeace Österreich verweist auf das Vorbild Luxemburg, wo glyphosathaltige Spritzmittel bereits seit 1. Juli nicht mehr verkauft werden dürfen. Ab 1. Januar 2021 darf dort dann niemand mehr Glyphosat versprühen. Landwirtschaftsexperte Sebastian Theissing-Matei erinnert daran, dass Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bereits im Dezember 2017 medienwirksam eine Abschaffung des gesundheitsschädlichen Giftes in Österreich angekündigt hatte. Das dürfe kein leeres Versprechen bleiben. [vef]