Die Bayer AG hat im zweiten Quartal 2021 weitere 3,5 Milliarden Euro in ihre Rücklagen eingestellt. Damit sollen die Klagen künftiger Krebspatienten gegen das glyphosathaltige Bayer-Herbizid Roundup abgedeckt werden. Durch die Rückstellung weist die Halbjahresbilanz des Konzerns einen Verlust von 246 Millionen aus.
Die erneute Rückstellung war notwendig geworden, nachdem es zu keinem Vergleich über mögliche künftige Fälle kam. Für diesen im Mai 2021 endgültig gescheitertenVergleich hatte der Konzern zwei Milliarden Euro eingeplant. Nun rechnet er mit wesentlich höheren Zahlungen. Allerdings setzt Konzernchef Werner Baumann große Hoffnungen in das höchste Gericht der USA, den Supreme Court. Ihn will Bayer noch im August anrufen, um die Schadensersatzklage von Edwin Hardemann abschließend zu entscheiden. In den zwei Instanzen zuvor war Bayer zu einem Schadensersatz von 25 Millionen US-Dollar verurteilt worden.
Sollte der Supreme Court das Verfahren annehmen, wolle man bis zur Entscheidung keine Vergleichsverhandlungen in Einzelfällen mehr führen, erklärte Bayer. Der Konzern hofft auf eine vorteilhafte Entscheidung „in Bezug auf übergreifende rechtliche Aspekte wie etwa der Vorrang von Bundesrecht, wodurch die Rechtsstreitigkeiten zu Glyphosat in den USA weitgehend beenden würden“. Sollte der Supreme Court das Verfahren nicht annehmen oder zu einer für Bayer negativen Entscheidung kommen, würde der Konzern „ein eigenes Programm aufsetzen, um mit Klagen und Ansprüchen umzugehen“. Die zurückgestellten 3,5 Milliarden Euro sind für dieses Programm gedacht.
Zu den von Bayer angesprochenen rechtlichen Aspekten zählt etwa die Frage, ob der Konzern überhaupt vor einer Krebsgefahr bei Roundup hätte warnen dürfen, wenn die Umweltbehörde EPA im Zulassungsverfahren ein Krebsrisiko explizit ausschließt. In einem neuen vierten Fall (Donella Stephens vs. Monsanto), der in dieser Woche in Kalifornien nach der Wahl der Jury mit den Eröffnungsstatements begann, war genau diese Frage Thema. Der Richter strich bereits im Vorfeld der Verhandlung diesen Klagepunkt von der Liste. Der Vorwurf, Monsanto hätte auf der Verpackung von Roundup vor der Krebsgefahr warnen müsse, wird im Fall Stephens nicht verhandelt, weil das Bundesrecht eine solche Warnung nicht zugelassen hätte. Stephens Anwälte werden deshalb einen anderen Vorwurf in den Mittelpunkt stellen und zu beweisen versuchen: Monsanto habe ein unsicheres Herbizidprodukt hergestellt und es wissentlich auf den Markt gebracht hat, obwohl wissenschaftliche Untersuchungen gezeigt hätten, dass Herbizide auf Glyphosatbasis Krebs verursachen können. Fast 70 Zeugen will die Jury in den nächsten acht Wochen hören. Allein die Liste an Studien, internen Monsanto-Dokumenten und anderen vorzulegenden Beweisen sei 250 Seiten lang, berichtete die US-Bürgerrechtsorganisation U.S. Right to Know in ihrer Prozessvorschau.
Durchaus verständlich, dass Bayer angesichts dieser Beweislage nicht alleine auf den Supreme Court setzt. Der Konzern teilte mit, dass er und seine Partner „von 2023 an die Glyphosat-basierten Produkte im US-Privatkundenmarkt durch Produkte mit neuen Formulierungen ersetzen werden, die alternative Wirkstoffe enthalten“. Dieser Schritt sei „ausschließlich der Minimierung von Rechtsrisiken geschuldet und reflektiert in keinerlei Hinsicht etwaige Sicherheitsbedenken“. Der größte Teil der bisher vorliegenden Klagen kamen von Privatkunden. An Landwirte will Bayer das Herbizid weiterhin verkaufen.
Glyphosat ist die größte, aber nicht die einzige Monsanto-Altlast, die Bayer übernommen hat. Eine Geschworenenjury in Seattle sprach vier Beschäftigten einer Schule Schadensersatz in Höhe von 185 Millionen US-Dollar zu. Sie hatten das von Monsanto hergestellte Umweltgift PCB (polychlorierte Biphenyle) für Hirnschädigungen verantwortlich gemacht. Bayer kündigte bereits an, in Berufung zu gehen. In einem weiteren, noch laufenden Verfahren wollen mehrere US-Städte 650 Millionen US-Dollar als Schadensersatz für PCB-verschmutzte Gewässer. Hier steuern die Parteien auf einen Vergleich zu, schreibt die Zeit. Das Geld dafür hatte der Konzern schon im letzten Jahr in seine Rücklagen eingestellt. Noch keine Risikovorsorge gibt es hingegen für zwei Anfang des Jahres eingereichte Investorenklagen. Ein US-amerikanischer und ein britischer Investor klagen vor dem Landgericht Köln gegen Bayer. Sie argumentieren, Bayer habe Prozessrisiken im Zusammenhang mit der Monsanto-Übernahme verschwiegen und damit kapitalmarktrechtliche Ad-hoc-Pflichten verletzt. Allein der US-Investmentfonds verlangt deshalb 37 Millionen Euro Schadensersatz. Bayer verweist auf vorliegende Gutachten, die dem Vorstand bestätigen, in dieser Hinsicht korrekt gehandelt zu haben.
Nach Mitteilung des Halbjahresergebnisses brach die Bayer-Aktie zeitweise um sechs Prozent ein. Das erstaunt, da die Rückstellung bereits eine Woche vorab mitgeteilt worden war. Vermutlich reagierten die Anleger damit darauf, dass zwar Bayers Umsätze im ersten Halbjahr deutlich stiegen, nicht aber der Ertrag. Über das um acht Prozent gewachsene Agrargeschäft des Konzerns schrieb das Handelsblatt: „Die operative Ertragsentwicklung dagegen ist weiterhin enttäuschend.“ Synergieeffekte aus der Monsanto-Übernahme und weitere Effizienzmaßnahmen seien bisher weitgehend verpufft. Dieses Verpuffen findet sich auch in den Halbjahreszahlen wieder. Der Konzern verbuchte ein Wertminderung seines Agrargeschäfts von 460 Millionen Euro. [lf]