„Gentechnik hat auf dem Acker nichts verloren“, schreibt die designierte grüne Umweltministerin Steffi Lemke (53) auf ihrer Webseite. Der avisierte grüne Agrarminister Cem Özdemir (55) hat sich bislang eher in der Außen- und Verkehrspolitik profiliert. Umwelt- und Bauernverbände appellieren an die Ampelkoalition, ihre Wahlversprechen umzusetzen und Gentechnik in der Landwirtschaft streng zu regulieren.
So fordern die 100 Mitgliedsorganisationen des Dachverbands Deutscher Naturschutzring (DNR), gentechnische Verfahren wie Crispr/Cas auch in Zukunft europaweit „nach den Prinzipien der Wahlfreiheit und der Vorsorge strikt zu regulieren und damit die Rechte von Verbraucher*innen und Landwirt*innen zu stärken“. „Der EU-Kommission muss klarwerden, dass eine Gentechnik-Deregulierung keine Option ist“, ergänzt Alexander Hissting, Geschäftsführer des Verbandes Lebensmittel Ohne Gentechnik (VLOG). Die neue Bundesregierung „kann und muss als gewichtige Stimme in der EU entscheidend dazu beitragen, sie davon zu überzeugen“. Die im Koalitionsvertrag vereinbarte Transparenz bei gentechnisch veränderten (gv) Produkten sei nur realisierbar, „wenn auch Produkte aus neuen Gentechnik-Verfahren als Gentechnik reguliert bleiben und entsprechend gekennzeichnet werden“, so Hissting.
Dieses klare Bekenntnis vermisst die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft im Koalitionsvertrag. „Die gentechnikkritische Bewegung wird weiter wachsam sein und für das Recht auf gentechnikfreie Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung kämpfen“, kündigt sie der Ampelregierung an. Wie der Infodienst berichtete, heißt es im Entwurf des Koalitionsvertrags bisher lediglich, die Partner „stellen Transparenz über Züchtungsmethoden her und stärken die Risiko- und Nachweisforschung.“ Die Gentechnik wird nicht explizit angesprochen. Im Wahlprogramm planten die Grünen für neue gentechnische Verfahren wie Crispr/Cas noch „eine Regulierung, die unkontrollierbare Verbreitung ausschließt, sowie eine verbindliche Kennzeichnung“ gemäß dem europäischen Vorsorgeprinzip.
Der Koalitionsvertrag biete im Agrarbereich Lichtblicke wie ambitionierte Aussagen zur Pestizidreduktion und zum Ausbau des Ökolandbaus, meint der Bund für Umwelt- und Naturschutz BUND salomonisch. „Das muss flankiert werden durch ein Nein zur Gentechnik“, fordert BUND-Expertin Daniela Wannemacher. „Es ist gut, dass Transparenz und Risikoforschung, ökologische und konventionelle Züchtung und Forschung für den Ökolandbau gestärkt werden; die weitere Regulierung der Gentechnik muss allerdings auch gesichert sein.“
Zu der überraschenden Entscheidung der Grünen, den Sozialpädagogen Özdemir anstelle des ursprünglich avisierten Biologen Anton Hofreiter zum Agrarminister machen zu wollen, äußerten sich die Umweltverbände nicht. Stattdessen begrüßte der Präsident des deutschen Bauernverbandes, Joachim Ruckwied, die Nominierung des pragmatischen Landsmanns aus Baden-Württemberg. Die Bekanntheit des ehemaligen grünen Parteivorsitzenden und Spitzenkandidaten Özdemir stärke das Agrarministerium, meint Ruckwied. Und ein Bauer sagt dem Portal „agrarheute“ ganz offen, er habe „im Landwirtschaftsministerium lieber einen Realo sitzen als jemanden vom linken Flügel.“ Eine Agraringenieurin wie Steffi Lemke als Umweltministerin könne auch nicht schaden, meint der Landwirt. Sie kenne zumindest aus dem Studium die Perspektive der Landwirtschaft. Ob das alles so kommen wird, darüber entscheiden bis zum 6.12. die Mitglieder oder Parteigremien der Ampelparteien. Stimmen sie Koalitionsvertrag und Personaltableau zu, soll Olaf Scholz (SPD) in der Nikolauswoche zum Bundeskanzler gewählt werden. [vef]