Der Ständerat, die zweite Kammer des Schweizer Parlaments, will das Schweizer Anbaumoratorium für gentechnisch veränderte Pflanzen abändern. Künftig sollen gentechnische Verfahren wie Crispr/Cas nur noch unter das Moratorium fallen, wenn durch sie fremdes Erbgut eingefügt wird. Nachdem der Nationalrat, die erste Kammer, das Moratorium ohne Änderung verlängern wollte, müssen beide Kammern nun einen Kompromiss finden.
Der Ständerat besteht aus 46 Vertretern der Kantone und gilt als wirtschaftsfreundlich und konservativ. Das Gremium beschloss, die von der Schweizer Regierung, dem Bundesrat, vorgeschlagene Verlängerung des Ende 2021 auslaufenden Moratoriums abzuändern: Gentechnisch veränderte Organismen, denen kein transgenes Erbmaterial eingefügt wurde, sollen von der Verlängerung des Gentech-Moratoriums bis Ende 2025 ausgenommen werden. Nachdem die Abstimmung ein Patt ergab, entschied im Stichentscheid die Stimme von Ständeratspräsident Thomas Hefti. Das gleiche Patt hatte es bereits zwei Wochen zuvor in der Wissenschaftskommission des Ständerats gegeben. In seinem Beschluss beauftragte der Ständerat zudem die Regierung, im Laufe des Jahres 2022 einen Bericht zu erarbeiten. Er soll die rechtlichen Möglichkeiten aufzeigen, die genannten gentechnischen Verfahren vom Gentech-Moratorium auszunehmen.
Im Schweizer Parlament sind beide Kammern gleichberechtigt. Die Angelegenheit geht nun zurück in den Nationalrat, der sich laut der Nachrichtenagentur Keystone-SDA in der kommenden Frühlingssession mit dem Votum des Ständerats befassen wird. Dreimal können beide Kammern die Angelegenheit hin- und herschieben, dann tritt eine Einigungskonferenz aus beiden Kammern zusammen, die einen Kompromiss finden muss, der dann beide Kammern bindet. Dass das geltende Moratorium Ende 2021 ausläuft, sei kein Problem – es würden einfach bis zur Bereinigung des Gesetzes keine Versuchsprojekte bewilligt, heißt es in der Bauernzeitung.
Paul Scherer, Geschäftsführer der Schweizer Allianz Gentechfrei (SAG) bestätigte im Gespräch mit dem Infodienst, dass der Bundesrat mitgeteilt habe, eventuelle Zulassungsanträge für den Anbau zu sistieren, also auf Eis zu legen, bis das Gesetz beschlossen sei. Scherer rechnet mit einer endgültigen Entscheidung über das Moratorium inklusive einer möglichen Einigungskonferenz noch im Frühjahr 2022.
Die SAG und die Kleinbauern-Vereinigung bedauerten die vom Ständerat beschlossene Abschwächung. Sie führe zu „einer immensen Rechtsunsicherheit für Produzent:innen sowie Konsument:innen“ Der Beschluss gefährde die Existenz aller Branchen, die auf gentechnikfreie Produktion fokussieren ebenso wie die gentechnikfreie Produktion als Alleinstellungsmerkmal der Schweizer Qualitätsproduktion. Um dies zu vermeiden, appellierten SAG und Kleinbauern-Vereinigung an den Nationalrat, seinen Beschluss aufrecht zu erhalten und nicht dem Ständerat zu folgen.
Der Schweizer Bauernverband wertete die Entscheidung des Ständerats als „Schuss ins Abseits“. Bevor die neuen Züchtungsmethoden ausgenommen werden könnten, brauche es eine saubere Klärung, wie diese künftig sinnvoll reguliert werden könnten, schrieb der Verband. Damit schließt die größere der beiden Schweizer Bauernvereinigungen eine Deregulierung nicht völlig aus. Denn wichtige Erzeugerverbände wie der Schweizer Obstverband, der Verband Schweizer Gemüseproduzenten oder die Schweizer Kartoffelproduzenten setzen auf neue gentechnische Verfahren. Sie haben sich mit den größten Einzelhändlern der Schweiz – Migros, Coop und Denner – sowie dem Konsumentenverband im Verein Sorten für morgen zusamengeschlossen. Er will genau jene gentechnischen Verfahren voranbringen, bei denen kein artfremdes Erbgut in einen Organismus eingefügt wird. Der Verein wertete den Beschluss des Ständerats als „einen Schritt in die richtige Richtung“. Der Verein erwartet nun vom Bundesrat, „dass er verschiedene Regelungsansätze aufzeigt, die danach in der Gesellschaft breit und faktenbasiert zu diskutieren sind.“ Das bloße Verlängern des Moratoriums um weitere vier Jahre stelle keine Zukunftsstrategie dar. [lf]