Wissenschaftler in Australien und Israel haben eine Methode entwickelt, mit der sich das Geschlecht eines künftigen Hühnerkükens bestimmen lässt, sobald das Ei gelegt wurde. Damit ließe sich verhindern, dass männliche Küken von Legehennen-Linien gleich nach dem Schlüpfen aussortiert und getötet werden. Doch dazu müssten die Zuchthennen mit Crispr/Cas gentechnisch verändert werden. Ein Beispiel mehr, wie mit Hilfe neuer gentechnischer Verfahren Nutztiere an die Bedingungen der Massentierhaltung angepasst werden sollen.
Bei Hühnern haben Hennen in ihrem Erbgut zwei verschiedene Geschlechtschromosomen, ein weibliches und ein männliches (WZ), die Hähne dagegen zwei männliche (ZZ). Die Wissenschaftler des israelischen Start-Ups EggXYt und der australischen Wissenschaftsorganisation CSIRO hatten unabhängig voneinander die gleiche Idee: Mit Crispr/Cas fügten sie zum männlichen Chromosom der Hennen ein Gen für ein Leuchtprotein hinzu. Bei der Paarung mit einem unveränderten Hahn geben die Hennen ihr leuchtendes Z-Chromosom an den männlichen Nachwuchs weiter. Die Hennen hingegen bekommen vom Hahn ein unverändertes, nicht leuchtendes Z-Chromosom. Damit wären alle männlichen Embryos optisch markiert. Unter UV-Licht ließen sie sich gleich nach dem Legen der Eier erkennen. Die Eier mit männlichem Nachwuchs könnten aussortiert und noch als Lebensmittel verkauft werden; nur die Eier mit weiblichen Küken würden ausgebrütet.
Die Firma EggXYt erhielt für die Entwicklung ihrer Methode von der EU-Kommission 3,3 Millionen Euro aus dem EU-Forschungsprogramm Horizon. Denn ein solches Verfahren hätte eine große wirtschaftliche Bedeutung. In der industriellen Hühnerhaltung gibt es zwei Arten von eigens gezüchteten Hochleistungstieren: Legehennen-Linien, bei denen die Hennen 300 Eier im Jahr legen, und Mast-Linien, bei denen die Tiere binnen fünf Wochen zwei Kilo Gewicht zulegen. Für die Mast können Hähne und Hennen verwendet werden. Fürs Eierlegen braucht es nur die Hennen, die Hähne sind wirtschaftlich wertlos, weil sie zuchtbedingt nur sehr langsam Fleisch ansetzen. Deshalb werden sie schon als Küken am ersten Tag aussortiert, getötet und als Tierfutter verkauft. Laut EU-Kommission trifft das jedes Jahr sieben Milliarden Hahnenküken weltweit.
In Deutschland ist diese Praxis seit Anfang 2022 verboten. Statt dessen werden in den Brütereien die Eier angebohrt, etwas Flüssigkeit entnommen und so das Geschlecht bestimmt. Das ist technisch derzeit erst am achten oder neunten Bruttag möglich. Tierschützer kritisieren, dass der Embryo dann schon Schmerzen empfinden kann, wenn er samt Ei verarbeitet wird. Deshalb erlaubt das deutsche Gesetz solche Eingriffe ab Anfang 2024 nur noch vor dem siebten Tag. Bisher gibt es jedoch noch kein Verfahren, das diese frühe Geschlechtsbestimmung im großen Stil ermöglicht. Die gentechnikfreundliche Plattform Transgen.de schreibt über EggXYt: „Das Unternehmen rechnet mit einem marktreifen Produkt bis 2022“ und suggeriert damit, dass diese Crispr-Hennen eine Lösung sein könnten.
Doch dazu müsste das fremde Erbgut für das Leuchtprotein in die Mutterhennen-Linien der großen Geflügelzuchtkonzerne eingebracht werden. Diese modifizierten Hennen müssten anschließend ein Zulassungsverfahren nach EU-Gentechnikrecht durchlaufen. Bisher gab es in der EU noch kein Verfahren für gentechnisch veränderte Nutztiere. Es wäre also Neuland und würde entsprechend lange dauern. Die weiblichen Nachkommen dieser Crispr-Hennen, die dann als Legehennen in den Ställen Eier produzieren, haben das eingefügte Leucht-Gen nicht. Doch kann nicht ausgeschlossen werden, dass es durch den Crispr-Eingriff im Erbgut der Mütter zu unerwünschten Veränderungen kommt. Auf dieses Risiko weisen zahlreiche Studien hin. Diese Veränderungen könnten die Crispr-Hennen dann an ihre weiblichen Nachkommen weitergeben. Das wirft die rechtliche Frage auf, ob diese Nachkommen ebenfalls als gentechnisch veränderter Organismus zu betrachten sind. Nur wenn diese Frage mit „ja“ beantwortet wird, müssten die Eier dieser nachfolgenden Generation nach EU-Recht gekennzeichnet werden.
Jenseits dieser gentechnikrechtlichen Debatte hat diese Crispr-Lösung – ebenso wie andere Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei – ein ethisches Problem. Solche Verfahren zementieren eine extreme Hochleistungszucht, die aus Sicht des Tierschutzes automatisch zu Qualen für die Tiere bei der Haltung führt, bei Legehennen ebenso wie bei Masthühnern. „Die heutigen Legehennen sind hochgezüchtete Eierlegemaschinen innerhalb eines kaputten Systems, die Kükenfrage damit auch eine Systemfrage“, argumentiert Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes. Die einzige Methode, die sowohl das Kükentöten verhindern als auch die zuchtbedingten Probleme der Legehennen lösen könne, sei die Rückkehr zum Zweinutzungshuhn. [lf]