Weil die Ukraine ein wichtiges Exportland für gentechnikfreie Soja- und Rapsfrüchte ist, sorgen sich angesichts des dortigen Krieges Bauern und Verbände um den Nachschub. Wichtig sind diese Ackerfrüchte vor allem als Eiweißfutter für gentechnikfreie konventionelle oder biologische Schweine und Hühner. Politiker und Verbände fordern, die Fütterregeln für diese Tiere vorübergehend zu lockern und die Tierbestände generell zu reduzieren.
So hat sich Agrarstaatssekretärin Silvia Bender vergangene Woche beim Agrarrat in Brüssel dafür ausgesprochen, „EU-weit als zeitlich begrenzte Maßnahme konventionelle Futtermittel in Bio-Eiweißfuttermitteln zu nutzen“, teilte ihr Ministerium mit. Diskutiert werde vor allem, Biolandwirten fünf Prozent konventionelles gentechnikfreies Eiweißfutter für Schweine und Geflügel aller Altersgruppen bis maximal 31.12.2022 zu erlauben, schrieb eine Sprecherin des Agrarministeriums auf Anfrage des Infodiensts. Ziel sei es, eine rechtliche Lösung zu finden, um eine Versorgung der Bio-Tiere mit Eiweißfuttermitteln sicher zu stellen. Regeln müsse das die Europäische Kommission und umsetzen die Bundesländer; mit beiden sei man dazu im Austausch. Eine Beschlussvorlage zum Thema sei unter den Bundesländern bereits im Umlauf, hieß es aus Sachsen-Anhalt. Österreich hat die fünf-Prozent-Ausnahme für erwachsene Tiere nach Expertenangaben schon verlängert.
Hintergrund ist, dass es bis Ende 2021 in der Europäischen Union (EU) erlaubt war, dem Bio-Eiweißfutter für erwachsene Schweine und Geflügel in Mangelsituationen fünf Prozent konventionelles Futter beizumischen. Denn Eiweißfutter in Bioqualität war schon vor dem Ukraine-Krieg zuweilen knapp. Zum Jahreswechsel wurde diese Ausnahme der EU-Öko-Verordnung dann auf Jungtiere beschränkt. Da der Krieg in der Ukraine die Warenströme stört und in diesem Jahr dort absehbar weniger Sojabohnen und Raps geerntet werden, fordern Bioverbände wie der Bund ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) oder Naturland, die Fünf-Prozent-Regel für Bio-Eiweißfutter auch für erwachsene Schweine und Geflügel befristet fortgelten zu lassen. Dabei muss es sich nach EU-Öko-VO grundsätzlich um gentechnikfreies Futter handeln.
Der Verband Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG), der die Produzenten konventioneller Lebensmittel mit dem „Ohne Gentechnik-Siegel“ vertritt, sieht aktuell noch ausreichende Mengen an gentechnikfreiem Raps- und Sojaschrot auf dem Markt. Er verweist auf Zahlen von Donau-Soja und Ovid, wonach nur rund zehn Prozent der in Deutschland verfütterten konventionellen gentechnikfreien Soja- und Rapsfrüchte aus der Ukraine kommen. Die Versorgung bis zur nächsten Ernte sei gesichert. Für 2022 erwartet Donau-Soja, dass ukrainische Bauern 70 Prozent der Sojamenge des Vorjahres ernten, heißt es in einer Medieninfo des VLOG.
Auch wenn aktuell noch ausreichend gentechnikfreies Futter verfügbar sei, gebe es einen deutlichen Preissprung, der ein großes Problem für die Betriebe darstelle, konstatiert VLOG-Geschäftsführer Alexander Hissting. „Hier setzen wir auf Solidarität entlang der Wertschöpfungskette, die Kosten müssen weitergegeben werden.“ Sprich: Fleisch und Eier ohne Gentechnik werden teurer. Was zu tun ist, falls doch einmal gentechnikfreier Nachschub fehlen sollte, darüber tausche man sich aktuell eng mit Unternehmen, Verbänden, Behörden und Politik aus. „Gemeinsam treffen wir Vorsorge für alle denkbaren Szenarien und bereiten auch Lösungen dafür vor, falls künftig in Einzelfällen vorübergehend tatsächlich keine gentechnikfreien Futtermittel verfügbar sein sollten“, so Alexander Hissting.
Ziel sei, die Versorgung der Tiere stets sicherzustellen und zugleich dafür zu sorgen, dass die Unternehmen möglichst im VLOG-System bleiben können, erläutert der VLOG-Geschäftsführer. Wenn eine gentechnikfreie Fütterung nicht durchgehend möglich sein sollte, müssten die Verbraucher immer transparent informiert werden. Eine Alternative zeigen Bioverbände und grüne Politiker auf: weniger Tiere aufziehen. Dass in Europa rund 70 Prozent der auf landwirtschaftlichen Nutzflächen erzeugten Rohstoffe in Trog oder Tank landen, das sei kein effizienter Umgang mit Ressourcen, kritisiert der grüne Europaabgeordnete Martin Häusling. Gerade in Kriegs- und Krisenzeiten müsse die Agrarwirtschaft prioritär Lebensmittel produzieren. [vef]