Agrarminister Cem Özdemir (re.) im Gespräch mit seinem spanischen Amtskollegen Luis Planas. Foto: BMEL/Mewes

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Glyphosat: Wieviel verbieten ist erlaubt?

Wie angekündigt hat die Europäische Kommission den Herbizidwirkstoff Glyphosat vergangene Woche in der EU bis 2033 erneut zugelassen. Daraufhin äußerte das Verwaltungsgericht Aachen gestern in einem Eilverfahren, es halte das am 1.1.2024 in Kraft tretende deutsche Anwendungsverbot für glyphosathaltige Spritzmittel für rechtswidrig. Laut mehreren Quellen arbeitet das Agrarministerium daran, dieses Verbot noch im Dezember per Eilverordnung aufzuheben. Bereits gestern verlängerte das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) die Zulassungen von 27 glyphosathaltigen Spritzmitteln in Deutschland bis 15.12.2024.

„Das BMEL prüft derzeit das weitere Vorgehen, um zum 1.1.2024 einen unionsrechtskonformen Zustand herzustellen und mindestens die im heutigen Recht bestehenden Einschränkungen für den Einsatz von Glyphosat fortzuschreiben“, lautet die Sprachregelung des Agrarressorts unter dem grünen Minister Cem Özdemir. Nachfragen, etwa nach einer Eilverordnung, werden nicht beantwortet. Da war der Agrarexperte des Koalitionspartners FDP vergangene Woche im Bundestag deutlicher: „Das Verbot, welches das unionsgeführte Agrarministerium mit der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung ab 2024 eingeführt hat, wird zurückgenommen“, kündigte Ingo Bodtke an. Denn anders als die Grünen ist die FDP für den Einsatz von Glyphosat und damit dafür, das von der früheren CDU-Agrarministerin Klöckner festgelegte Verbot ab 1.1.2024 wieder zu kippen.

Das Problem: Um die Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung zu ändern, muss sich erstens die Ampelkoalition einigen und zweitens der Bundesrat zustimmen. Beides ist bis zum 1. Januar offenbar nicht mehr zu schaffen. Daher schrieb das BMEL dem Verwaltungsgericht Aachen, es prüfe, ob das deutsche Glyposatverbot mit einer Eilrechtsverordnung noch vor dem 1. Januar aufgehoben werden kann. Das jedenfalls ist auf der Webseite der am Prozess beteiligten Anwaltskanzlei zu lesen. Wie das Portal table.media aus Regierungskreisen erfahren hat, muss einer solchen Eilverordnung weder das Kabinett noch der Bundesrat zustimmen. Sie solle auf sechs Monate befristet werden, um dem Agrarministerium Zeit zu geben, mit den Koalitionspartnern die Details auszuhandeln. Denn die europäische Zulassung des Wirkstoffs erlaubt den EU-Mitgliedstaaten, seine Anwendung im fertig gemischten Pestizid zum Schutz von Gesundheit und Biodiversität einzuschränken.

Diese Unterscheidung zwischen Anwendung und Zulassung ist auch der juristische Grund, warum das BVL 27 glyphosathaltige Pflanzengifte in Deutschland bis Ende 2024 zulassen kann, obwohl sie nach aktueller Rechtslage ab 1.1.24 nicht mehr eingesetzt werden dürfen. Das Inverkehrbringen, also der Verkauf der Spritzmittel in Deutschland, richte sich nach EU-Recht, erklärt ein BVL-Sprecher dem Infodienst Gentechnik auf Anfrage. Und das erlaube den Wirkstoff jetzt wieder für zehn Jahre. Diese Entscheidung der EU-Kommission sei in allen ihren Teilen verbindlich und gelte unmittelbar in jedem Mitgliedstaat, meint – laut Anwalt der beiden klagenden Landwirte – auch das Verwaltungsgericht Aachen. Die Richter hielten es für „fernliegend“, dass die Behörden Bauern unter Strafe verbieten können, Glyphosat zu spritzen, während der Wirkstoff nach höherrangigem EU-Recht erlaubt ist. Der Gerichtsbeschluss, der den Eilantrag der Landwirte dennoch aus formalen Gründen ablehnt, ist noch nicht rechtskräftig.

Doch nicht nur die Landwirte klagen. Auch Umweltorganisationen wollen sich nicht damit abfinden, dass das umstrittene Totalherbizid weiter auf europäischen Äckern versprüht werden darf. So kündigten das Pestizid-Aktions-Netzwerk PAN Europe und die österreichische Organisation Global 2000 bereits im November an, die Zulassung des Wirkstoffs Glyphosat durch die EU-Kommission vor dem EU-Gericht anzufechten. Die Behörden hätten potentielle Gefahren für Umwelt und Gesundheit nicht ausreichend berücksichtigt, begründeten sie ihren Plan. Daher verstoße die Zulassung gegen die EU-Pestizidverordnung, die dem Schutz der Gesundheit und der biologischen Vielfalt Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen einräume. Auch die deutsche Aurelia-Stiftung will gegen die jüngste Zulassung auf EU-Ebene klagen und erarbeitet derzeit eine Strategie.

Eine weitere Klage, die Aurelia am 13. September beim EU-Gericht eingereicht hatte, soll aufrechterhalten werden. Sie richtet sich gegen die Entscheidung der EU-Kommission vom Dezember 2022, Glyphosat bis 15.12.2023 vorläufig weiter zuzulassen, weil die behördlichen Prüfungen noch nicht abgeschlossen waren. Weil diese Praxis „quasi automatischer Zulassungsverlängerungen“ auch bei Dutzenden anderen Spritzmitteln üblich ist, könnte ein Urteil nach Angaben der Aurelia-Stiftung weitreichende Auswirkungen auf die Pestizidzulassung in Europa haben. [vef]

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