Der angeblich dürretolerante HB4-Weizen des globalen Agrarunternehmens Bioceres darf in seinem Stammland Argentinien nun ohne Einschränkungen angebaut und vermarktet werden. Den Import des herbizidtoleranten Getreides erlauben nach Brasilien jetzt auch Kolumbien, Neuseeland und Australien. Die argentinische Regierung und der Saatguthersteller setzen darauf, dass Ernteausfälle und Transportprobleme durch den Krieg im Weizenexportland Ukraine die Nachfrage nach Gentechnik-Weizen beflügeln könnten.
Das argentinische Landwirtschaftsministerium hat am 11. Mai die bisherigen Einschränkungen für Anbau und Verarbeitung von HB4-Weizen aufgehoben. Es begründete den Schritt damit, dass Brasilien als wichtigster Abnehmer von argentinischem Weizen es erlaubt habe, das mit einem Sonnenblumengen ergänzte Getreide einzuführen. Nun hofft man, dass der weltweit erste Gentechnik-Weizen, den in Argentinien vorerst nur 250 lizensierte Betriebe anpflanzen, auch verkauft werden kann. Nach Kolumbien, Neuseeland und Australien dürfen die Körner seit Neustem ebenfalls importiert und dort verarbeitet werden. Und die US-Lebensmittelbehörde FDA hat laut Bioceres Ende Juni mitgeteilt, dass sie nach Prüfung der Unterlagen keine weiteren Fragen zur Sicherheit von HB4-Weizen habe. Dies sei „ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Marktzulassung in den Vereinigten Staaten, die noch vom US-Landwirtschaftsministerium (USDA) erteilt werden muss“, schrieb Bioceres.
Doch das Unternehmen denkt schon weiter: Wie es der Nachrichtenagentur Reuters sagte, plane es in Australien zusammen mit einem Weizenzüchter Feldversuche und wolle dort im kommenden Jahr eine Anbaugenehmigung für seinen HB4-Weizen beantragen. Das vom Klimawandel besonders betroffene Land ist für Bioceres als Markt sehr interessant. In Brasilien hat die staatliche Forschungseinrichtung Embrapa nach Angaben von Reuters bereits im März Feldversuche mit dem Gentechnikgetreide begonnen. Bioceres-Vorstand Federico Trucco sagte Reuters, der Einmarsch Russlands in die Ukraine habe den Weizen in den Mittelpunkt gerückt und stärke die Argumente für seine gentechnisch veränderten Pflanzen. Die Zeitung La Nuevaer zitierte den argentinischen Landwirtschaftsminister Julián Domínguez, er wolle den Weizenanbau in seinem Land mit Hilfe der Gentechnik ausweiten und die Erträge steigern. Und sein Staatssekretär Matías Lestani ergänzte gegenüber der Tageszeitung taz: „Unser Ziel ist, die Gelegenheit zu nutzen, die sich aus dem internationalen Szenario ergibt, da der Krieg in der Ukraine schon jetzt die gesamte globale Verwertungskette in Schach hält.“
Diese Rechnung hat die Regierung aber offenbar ohne die argentinische Agrarwirtschaft gemacht: Fernando Rivara, Präsident des Verbandes der Getreideerzeuger, hat große Bedenken gegen HB4. „Die Angst vor einer Weizenkontamination behindert den Zugang unserer Produkte zu den anspruchsvollsten Märkten“, zitierte ihn La Nueva. Noch deutlicher drückte sich der Präsident des Getreideexportzentrums CIARA-CEC, Gustavo Idígoras, gegenüber dem Magazin Infobae aus: „Wir werden kein einziges Körnchen HB4-Weizen in Lieferungen akzeptieren, denn das ist eine absolute Absage an jeden Markt“. Um diese Vorbehalte abzubauen, sagte Bioceres zu, die gesamte HB4-Ernte 2022/23 aufzukaufen und das Getreide, das nicht als Saatgut gebraucht werde, in Eigenregie zu verarbeiten. Dazu sei man mit einer Brauerei und einem Futtermittelhersteller im Gespräch. Bioceres hofft, dass die Widerstände schwinden, sobald der HB4-Weizen in weiteren Ländern zugelassen ist. Auch in der Europäischen Union (EU) hat das Unternehmen eine Importzulassung beantragt.
Während die an sich gentechnikfreundlichen Vertreter der Weizenindustrie um ihre Märkte fürchten, stören sich Umweltgruppen vor allem daran, dass der HB4-Weizen gegen das Herbizid Glufosinat-Ammonium resistent ist. Sie fürchten, dass mit einem verstärkten HB4-Anbau auch dieses Pflanzengift deutlich mehr versprüht wird. In der EU ist es seit 2018 verboten, weil es die Gesundheit gefährdet. Dennoch wird es vom deutschen Pestizidhersteller BASF weiter in Länder wie Argentinien exportiert. Die Kritiker verweisen auch auf die bekannten negativen Auswirkungen des Anbaus von Gen-Soja, die sich nun bei Weizen wiederholen könnten: riesige Monokulturen, die aus der Luft mit Herbiziden besprüht werden, zerstörte artenreiche Agrarökosysteme sowie eine zunehmende Konzentration des Reichtums. Und sie wehren sich: Bio-Bauern wollen gegen die unbeschränkte Zulassung von HB4-Weizen klagen, da sie Sorge haben, dass ihre gentechnikfreien Bio-Weizenfelder damit verunreinigt werden. Ein Bundesrichter hatte die Regierung bereits vergangenen November aufgefordert, die Bürger am Zulassungsverfahren zu beteiligen. Der Oberste Gerichtshof Argentiniens muss jetzt über einen Antrag von Bundesanwaltschaft und Betroffenen entscheiden, die Zulassung von HB4 auszusetzen, berichtete die Agentur Tierra Viva. [lf/vef]