Zahlreiche Gentechnikforschende setzen sich als scheinbar unabhängige Wissenschaftler dafür ein, das EU-Gentechnikrecht zugunsten neuer gentechnischer Verfahren zu lockern. Eine Studie der Grünen im Europäischen Parlament zeigt, dass viele von ihnen damit auch eigene wirtschaftliche Interessen vertreten könnten - etwa weil sie Patente oder Patentanmeldungen für Gentechnikprodukte halten. Die Grünen fordern, solche Interessenkonflikte klar zu deklarieren.
Für die Grünen verfasst hat die Studie ein Team um die gentechnikkritische britische Organisation GMWatch. Die Autorinnen betrachteten dafür die Mitglieder von drei Wissenschaftsorganisationen, die sich in der Öffentlichkeit und gegenüber der EU-Kommission besonders intensiv dafür einsetzen, das EU-Gentechnikrecht zu ändern. Es sind dies: Das Netzwerk für nachhaltige Landwirtschaft durch genetische Veränderung (EU-SAGE), die Akademien der Wissenschaften in Europa (All European Academies – ALLEA) und die Europäische Organisation für Pflanzenwissenschaften (EPSO). Bei letzterer hatte GMWatch deren Arbeitsgruppe für Agrartechnik im Blick, von der die Gentechnik-Stellungnahmen stammten.
Die Recherchen ergaben, dass zwei Drittel der Mitglieder der EPSO-Arbeitsgruppe und ein Drittel der EU-SAGE-Mitglieder „ein persönliches Interesse an der Kommerzialisierung von GV-Pflanzen“ haben. Sie könnten finanziell oder in Bezug auf die Karriereentwicklung davon profitieren, heißt es im Bericht. So habe die Hälfte der Mitglieder der EPSO-Arbeitsgruppe bereits an einem oder mehreren Forschungsprojekten mit der Industrie teilgenommen. „38 % der Mitglieder der EPSO-Arbeitsgruppe für Agrartechnologien und 23 % der Mitglieder des EU-SAGE-Netzwerks halten ein oder mehrere Patente oder Patentanmeldungen im Zusammenhang mit gentechnischen Verfahren oder Produkten“, steht im Bericht. Gleiches gilt demnach für zwei von vier Autoren eines ALLEA-Berichtes, der sich dafür ausspricht, die rechtlichen Regeln für Produkte neuer gentechnischer Verfahren zu lockern. Manche der Wissenschaftler von EPSO und EU-SAGE seien laut Bericht auch an einem Saatgut- oder Biotechnologieunternehmen beteiligt, indem sie eine Position in oder Anteile an solchen Unternehmen hätten.
„Diese Verflechtung von wissenschaftlicher Beratung und eigenem ökonomischen Interesse wird in den meisten Fällen nicht offen kommuniziert“, kritisierte der grüne Europaabgeordnete Martin Häusling. Dies habe zur Folge, dass diese Eigeninteressen bei der Bewertung der Beratungsleistung und den daraus folgenden Empfehlungen nicht berücksichtigt würden. „Befangene WissenschaftlerInnen sind keine guten RatgeberInnen, wenn sie ihre materiellen Eigeninteressen nicht offenlegen“, schrieb Häusling in einer Pressemitteilung. Deshalb brauche es „dringend mehr Transparenz und unabhängige Forschung im Bereich der neuen Gentechnik“.
Die Studie machte auch deutlich, dass die einzelnen Forschenden und die untersuchten Lobbygruppen nicht als Vertreter „der Wissenschaft“ im Allgemeinen gelten könnten. Denn sie repräsentierten nur einen begrenzten Bereich der angewandten Wissenschaft, nämlich die Genetik und Molekularbiologie. Fachwissen, das wichtig sei, um mögliche negative Folgen neuer gentechnischer Verfahren in der Landwirtschaft zu bewerten, fehle hingegen in diesen Organisationen: etwa Expertise in Ökologie, Agrarökologie, Sozioökonomie, Toxikologie und öffentlicher Gesundheit.
Die Studie nennt nicht nur Zahlen, sondern auch Institutionen und Namen, etwa das flämische Forschungsinstitut VIB oder das Institut für Pflanzenforschung der niederländischen Universität Wageningen. Aus Deutschland haben etwa das bundeseigene Julius-Kühn-Institut (JKI) mit zwei Mitarbeitenden sowie das Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie mit seinem Direktor Detlef Weigel Eingang in die Studie gefunden. In einem Artikel in der Wochenzeitung "Die Zeit" wiesen Weigel und das JKI den Vorwurf von Interessenkonflikten zurück. [lf]