Das Plenum des Europäischen Parlaments (EP) hat am Mittwoch seine Position zum Verordnungsvorschlag der EU-Kommission zu neuen Gentechniken (NGT) bekräftigt. Es stimmte für eine weitgehende Deregulierung von NGT-Pflanzen, deren Produkte in den meisten Fällen ohne Risikoprüfung vermarktet werden dürften. Das EP hat damit die erste Lesung des Entwurfs abgeschlossen. Nach der Europawahl im Juni wird der Gesetzgebungsprozess fortgesetzt werden und irgendwann in einen Trilog zwischen EP, Rat der Mitgliedstaaten und EU-Kommission münden.
Mit 336 Pro-, 238 Gegenstimmen und 41 Enthaltungen bestätigten die Europaabgeordneten gestern ihre bereits am 7. Februar als Verhandlungsmandat beschlossene Position. Verglichen mit dem Votum vom Februar (307 Ja, 263 Nein und 41 Enthaltungen) hat die Zustimmung zum damals leicht abgeänderten Regelungsvorschlag der EVP-Berichterstatterin Jessica Polfjärd etwas zugenommen. Ein Blick in die Abstimmungslisten zeigt, dass die Zustimmung vor allem bei Konservativen und Liberalen zunahm, während sich mehrere Abgeordnete von Sozialisten und Grünen enthielten, die im Februar den Bericht noch abgelehnt hatten.
Doch was ist dieser Beschluss noch wert, wenn nach der Europawahl im Juni das neue EU-Parlament in veränderter Konstellation seine Arbeit aufnimmt? Anders als einige Akteure annehmen, wird das neue EP an die gestrige Entscheidung des aktuellen nicht gebunden sein. Der Infodienst Gentechnik hat bei der Pressestelle des EP angefragt, ob das neugewählte Parlament den abgestimmten Vorschlag nochmal aufgreifen und abändern kann oder ob es mit dem jetzt abgestimmten Text in mögliche Trilogverhandlungen gehen muss. Die Antwort des EP-Sprechers lautete: „Das neue Parlament ist da ganz frei. Man kann mit dem Text weitermachen oder aber in zweiter Lesung noch Änderungsanträge einbringen.“
Fakt ist allerdings, dass es für eine Entscheidung, die Diskussion neu aufzurollen, eine Mehrheit im Parlament bräuchte. Wie es um eine solche Mehrheit bestellt sein wird, entscheiden im Juni die Wählerinnen und Wähler bei der Europawahl. Den Umfragen zufolge könnte die Wahl zu einem Rechtsruck im Parlament führen. Deshalb gibt es auch Befürchtungen, dass das neue Parlament einige am 7. Februar beschlossene Ergänzungen des Kommissionsvorschlags wieder rückgängig machen könnte. Das gilt insbesondere für die mit nur sehr knapper Mehrheit hinzugefügte Kennzeichnungs- und Rückverfolgbarkeitspflicht für alle Lebensmittel mit NGT. Der grüne Europaabgeordnete Martin Häusling mahnte deshalb: „Wer auch immer in Zukunft die Verhandlungen weiterführen wird, wird sich an der heute abgestimmten Position orientieren müssen. Hinter die heute eingetüteten Positionen kann und darf dann nicht zurückgefallen werden.“
Die Haltung des neuen Parlaments dürfte sich bereits im Juli zeigen. Dann wird im Umweltausschuss des EP die EU-Lebensmittelbehörde EFSA zur Kritik der französischen Lebensmittelbehörde Anses Stellung nehmen. Diese hatte die von der EFSA erarbeiteten Kriterien, nach denen NGT-Pflanzen von einer Regulierung ausgenommen werden sollen, als unwissenschaftlich bezeichnet. Parallel werden die Landwirtschaftsminister:innen der EU-Staaten weiter daran arbeiten, eine gemeinsame Position zu finden. Sie sollten sicherstellen, dass die Gesetzgebung in der Europäischen Union nicht nur die Interessen der großen Agrarkonzerne begünstigt, kommentierte Friends of the Earth Europe. Da im Juli das gentechnikkritische Ungarn die Ratspräsidentschaft übernimmt und Anfang 2025 das ebenfalls kritische Polen folgt, dürften die Kritiker des Kommissionsentwurfs im Ministerrat eher Aufwind bekommen.
Ebenfalls unverändert bleibt die Kritik von Bio- und Umweltverbänden an der geplanten Deregulierung für NGT-Pflanzen. „Die möglichen Auswirkungen dieser Verfahren auf Lebensmittel und Ökosysteme sind nach aktuellem Forschungsstand nicht absehbar“, sagte Florian Schöne, Geschäftsführer des Dachverbandes Deutscher Naturschutzring. Deshalb sollten auch für NGT-Pflanzen die bestehenden Regelungen aufrechterhalten werden. „Eine verbindliche Risikoprüfung, Kennzeichnung, Rückverfolgbarkeit und damit Wahlfreiheit für Verbraucher:innen und Landwirt:innen müssen sichergestellt werden“, sagte Schöne. [lf]