Die Europäische Kommission schlägt vor, den Unkrautvernichter Glyphosat in Europa weitere zehn Jahre zu erlauben. Über diesen heute veröffentlichten Entwurf sollen die EU-Mitgliedstaaten am 13. Oktober abstimmen. Nach Angaben eines hochrangigen Kommissionsbeamten habe sich bisher nur ein Land dagegen ausgesprochen; einige hätten sich noch nicht festgelegt. Umwelt- und Ökoverbände fordern seit Monaten vom deutschen Agrarminister dafür zu kämpfen, dass das Totalherbizid nicht länger auf europäischen Äckern versprüht werden darf.
„Der grüne Agrarminister Cem Özdemir ist für eine Landwirtschaft angetreten, die wieder mehr im Einklang mit unseren Lebensgrundlagen wirtschaften soll“, sagt etwa Gerald Wehde von Bioland. Daher müsse er im Oktober Farbe bekennen und gegen eine Wiederzulassung von Glyphosat stimmen. Nach ZDF-Informationen ist Deutschland das erwähnte eine Land, das sich gegen den Kommissionsvorschlag wendet. Offiziell klingt das aus dem Mund das Agrarministers so: "Solange nicht ausgeschlossen werden kann, dass Glyphosat der Biodiversität schadet, sollte die Genehmigung in der EU auslaufen. Eine vielfältige und intakte Pflanzen- und Tierwelt ist die Voraussetzung für sichere Ernten heute und in 10, 20 oder 50 Jahren. Ob Glyphosat vom Markt genommen wird, entscheiden wir aber nicht alleine. Deshalb sind wir mit unseren Partnern in der EU dazu in intensiven Gesprächen." Der Plan, Glyphosat Ende 2023 in Deutschland aus dem Verkehr zu ziehen, ist zwar im Koalitionsvertrag verankert. Doch Cem Özdemir hat schon deutlich gemacht, dass er rechtliche Probleme sieht, sollten die EU-Gremien anders entscheiden.
Die Mehrheit der Deutschen jedenfalls wünscht ein Verbot von Glyphosat. Und auch der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland warnt: „Zehn weitere Jahre Glyphosat wären eine Katastrophe für Mensch und Artenvielfalt. Es ist belegt, dass Glyphosat wahrscheinlich krebserregend und neurotoxisch ist, oxidativen Stress auslösen kann und das Mikrobiom des Darms schädigt“, so Pestizidexpertin Corinna Hölzel. Sie wirft der EU-Kommission vor, unabhängige Studien einfach zu ignorieren. Selbst die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA, die im Sommer die Unbedenklichkeit des Totalherbizids bescheinigte, hatte eingeräumt, dass es in bestimmten Bereichen Datenlücken gebe. Die Coordination gegen Bayer-Gefahren hat diese Datenlücken in einem Brief an den Bayer-Konzern vergangene Woche detailliert aufgelistet.
Ein Sprecher der EU-Kommission betonte dagegen heute, der Vorschlag seiner Behörde sei wissenschaftlich fundiert und habe den Schutz von Mensch und Umwelt im Auge. Um mögliche Schäden für die Artenvielfalt zu vermeiden, sollten die Mitgliedsstaaten den Gebrauch von glyphosathaltigen Spritzmitteln entsprechend beschränken, wenn sie sie zulassen, so der Entwurf. Theoretisch, sagte ein hochrangiger Kommissionsbeamter, könnten die Mitgliedstaaten sämtliche glyphosathaltigen Spritzmittel für ihr Territorium verbieten, wenn sie es mit der regionalen Landwirtschaft und Umwelt begründen könnten. Die Kommission selbst will künftig nur vorschreiben, dass fünf bis zehn Meter breite Randstreifen der Äcker nicht mehr gespritzt werden dürfen. Außerdem sollen spezielle Düsen dafür sorgen, dass das Totalherbizid auf den vorgesehenen Feldern landet und nicht weggeweht wird. Schließlich soll, wie in Deutschland bereits geschehen, auch EU-weit die Vorerntebehandlung verboten werden.
Bereits diesen Freitag werden die 27 EU-Mitgliedstaaten im zuständigen Ausschuss in Brüssel über den Vorschlag diskutieren, der ihnen gestern zugesandt wurde. Die Zeit drängt, denn Glyphosat ist nur noch bis 15. Dezember zugelassen. Findet sich am 13. Oktober keine qualifizierte Mehrheit für den Vorschlag der Kommission, muss ein Berufungsausschuss entscheiden. Fehlt auch dort das nötige Quorum, kann die EU-Kommission das Pflanzengift am Ende selbst bis 2033 genehmigen.
Doch auch dann ist das Thema für sie noch nicht ausgestanden. Denn die Aurelia-Stiftung klagt beim EU-Gericht in Luxemburg gegen die Entscheidung der EU-Kommission aus dem Jahr 2022, die Glyphosatzulassung vorläufig um ein Jahr zu verlängern, weil noch nicht alle Daten für eine endgültige Entscheidung ausgewertet werden konnten. Die Stiftung sieht die Verantwortung für verspätet oder gar nicht eingereichte Daten vor allem bei den Herstellern der Spritzmittel. Es sei – auch bei anderen Wirkstoffen - gängige Praxis in der EU, dass nicht abschließend geprüfte Substanzen weiter zugelassen werden. Das hofft die Stiftung mit einem Grundsatzurteil stoppen zu können. „Der breite Einsatz von Glyphosat zerstört Lebensräume und Nahrungsgrundlagen von Insekten“, kritisiert Stiftungsvorstand Thomas Radetzki. „Die für uns alle bedrohliche Zerstörung der Artenvielfalt durch Ackergifte muss beendet werden.“ [vef]