Die Europäische Volkspartei (EVP), zu der auch CDU und CSU gehören, will mit neuen gentechnischen Verfahren (NGT) hergestellte Pflanzen im Ökolandbau erlauben. Die EVP geht damit noch über Pläne der Europäischen Kommission hinaus, die zwar die Regeln für NGT insgesamt lockern, sie auf Wunsch der Biobranche für diese aber weiter verbieten will. Bioverbände protestieren gegen den EVP-Vorstoß und fordern die Europaabgeordneten auf, ihn abzulehnen. Unterdessen wird unter enormem Zeitdruck versucht, europäisches Parlament, Rat und Kommission bis Frühjahr 2024 zu einer Einigung über die neuen NGT-Regeln zu führen.
In ihrem Entschließungsantrag vom 16. Oktober schlägt die zuständige Berichterstatterin Jessica Polfjärd den Europaabgeordneten vor, NGT-Pflanzen ohne Fremdgene, für die es nach den Plänen der EU-Kommission künftig keine Risikobewertung und Kennzeichnung mehr geben soll, auch für den Ökolandbau zuzulassen. Der Verordnungsentwurf der Kommission sieht dagegen ein Verbot vor, weil die Bio-Branche Gentechnik-Pflanzen einhellig ablehnt. Eine entsprechende Resolution hatten die Delegierten des Bio-Dachverbandes Ifoam Organics Europe im Juni 2023 mit einer Mehrheit von 98 Prozent verabschiedet. Auch nach der geltenden EU-Öko-Verordnung ist Gentechnik in Bioprodukten verboten.
Kippen will die Schwedin Polfjärd auch die Vorgabe der Kommission, dass NGT-Saatgut gekennzeichnet werden muss, um Landwirt:innen die Wahl zu lassen, ob sie es anbauen wollen. Eine solche Kennzeichnung sei „diskriminierend“, heißt es zur Begründung. Schließlich will die Berichterstatterin die Regeln ändern, nach denen geprüft wird, ob es sich um eine NGT-Pflanze handelt, die vom Gentechnikrecht ausgenommen ist. Ziel ist, die Mitsprache der EU-Mitgliedstaaten zu beschränken. Auch soll die Definition von dieser Pflanzen-Kategorie so geändert werden, dass noch mehr NGT-Pflanzen darunterfallen.
Beim Thema Patente sieht die EVP dagegen keinen Handlungsbedarf. Ihr reicht es, wenn die EU-Kommission wie geplant 2026 prüft, ob zusätzliche Regelungen nötig sind. Viele dieser Punkte dürften im Sinne derer sein, die laut Resolutionsentwurf zu diesem beigetragen haben: der deutsche Saatgutkonzern KWS, der Lobbyverband Euroseeds und die schwedische Öko-Kontrollstelle Krav. Der Entwurf wird federführend im Umweltausschuss debattiert und abgestimmt, bevor er im Plenum des Europäischen Parlaments behandelt wird.
Die Biobranche ist empört über den EVP-Vorstoß: Er missachte die Sichtweise einer ganzen Bewegung und eines ganzen Wirtschaftssektors, kommentierte Jan Plagge, Präsident von Ifoam Organics Europe. Der Bio-Sektor stehe geschlossen hinter der Forderung, dass der ökologische Produktionsprozess frei von Gentechnik bleiben müsse und zwar von neuer wie alter. „Denn mit dem Vorsorgeprinzip und den Grundsätzen des ökologischen Landbaus ist diese Hochrisiko-Technologie nicht vereinbar“, sagte Plagge. Tina Andres, Vorsitzende des deutschen Biodachverbandes BÖLW mahnte, im Europaparlament werde über „die Freiheit von Bürgerinnen und Bürgern, Bauernhöfen und Unternehmen verhandelt, künftig selbst über ihr Essen oder ihre Produktion entscheiden zu können.“
Barbara Riegler, Obfrau des österreichischen Verbandes Bio Austria, sprach von einem „skandalösen Vorhaben“ und einem „Angriff auf die Bio-Landwirtschaft in Europa sowie auf den Grundsatz der Wahlfreiheit“. Alle Verbände fordern die Europaabgeordneten auf, den Vorschlag abzulehnen. Stattdessen sollten die Parlamentarier:innen sicherstellen, dass Bio gentechnikfrei bleibe und Produkte aus NGT weiterhin kontrolliert und gekennzeichnet werden sowie rückverfolgt werden können. Der Biobauer und grüne Europaabgeordnete Martin Häusling geht von harten Verhandlungen aus. Denn es gebe im Parlament keine gentechnikkritische Mehrheit, die den Vorschlag der EU-Kommission in Gänze ablehnen würde.
Parallel zur Diskussion im Parlament versucht der Europäische Rat, also die EU-Mitgliedstaaten, eine gemeinsame Position zu den NGT-Plänen der EU-Kommission zu erarbeiten. Da Befürworter wie Gegner noch zahlreiche Kritikpunkte haben, hat die spanische Ratspräsidentschaft Anfang Oktober einen Kompromissvorschlag für die Reglungspunkte eins bis elf vorgelegt. Dieser hält an einem NGT-Verbot für den Ökolandbau ebenso fest wie an einer Kennzeichnung von Saatgut der privilegierten Kategorie 1. Nur dort, wo geprüft wird, ob eine NGT-Pflanze in diese Kategorie fällt, will die Ratspräsidentschaft das Verfahren vereinfachen - allerdings nicht so weitgehend wie die EVP. Weil die Spanier unbedingt bis zum Ende ihrer Präsidentschaft im Dezember einen Ratsbeschluss erreichen wollen, stressen sie die Mitgliedstaaten mit zahlreichen, eng getakteten Arbeitsgruppensitzungen. Zur nächsten Sitzung der Agrarminister am 20. und 21. November soll auch ein Kompromissvorschlag für den Rest der Verordnung fertig sein.
Im Europaparlament will morgen der Agrarausschuss über den NGT-Entwurf der EU-Kommission debattieren. Berichterstatterin ist die tschechische Abgeordnete Veronika Vrecionová von den Europäischen Konservativen und Reformisten, deren Beschlussvorschlag dem Vernehmen nach aus Zeitgründen noch nicht schriftlich vorliegt und daher mündlich vorgetragen wird. Eine Abstimmung in diesem Ausschuss wird am 11. oder 14. Dezember erwartet. Im federführenden Umweltausschuss wird Polfjärd ihren Resolutionsentwurf voraussichtlich am 7. November vorstellen. Den Abgeordneten soll dann bis zum 15. November Zeit bleiben, Änderungsanträge einzureichen. Zusammen mit den Anmerkungen des Agrarausschusses könnte die Endfassung im Januar 2024 im Umweltausschuss abgestimmt werden. Sofern nichts dazwischen kommt, könnten nach einem Beschluss des Parlamentsplenums dann im Februar die Trilogverhandlungen mit Kommission und Rat starten - wenn letzterer bis dahin eine Position abgestimmt hat. Ziel der Befürworter:innen neuer Gentechnik ist es, die neue Verordnung zu beschließen, bevor im April 2024 der Wahlkampf fürs nächste Europaparlament beginnt. [lf/vef]