Der spanische Agrarminister hat gestern unter seinen europäischen Amtskolleg:innen nicht die nötige Mehrheit für seinen Kompromissvorschlag gefunden, wie die Regeln für neue gentechnische Verfahren (NGT) weitestgehend gelockert werden könnten. Kritisiert werden am Vorschlag weiterhin vor allem fehlende Regeln für Patente, für eine Koexistenz der Anbauformen und unzureichende Kennzeichnungsvorschriften. Doch Luis Planas will es bis zum Ende seiner Ratspräsidentschaft am 31. Dezember weiter versuchen. Dabei setzt er unter anderem auf den aktuellen Regierungswechsel in Polen.
Man sei schon „nah dran“ an der nötigen qualifizierten Mehrheit, sagte der spanische Ratspräsident am Montagabend vor Journalisten. Bei einem Meinungsbild im Agrarrat hatten zuvor sieben der 27 EU-Mitgliedstaaten den spanischen Vorschlag ausdrücklich abgelehnt, darunter Österreich, Ungarn und Polen. Drei Länder kündigten eine Enthaltung an, darunter Deutschland und Luxemburg. Bei 16 Staaten war angesichts offener Kritikpunkte teilweise nicht genau herauszuhören, ob sie am Ende für den Kompromissentwurf stimmen würden oder sich enthalten. Belgien als künftige Ratspräsidentin äußerte sich gar nicht, sieht den Vorschlag dem Vernehmen nach aber eher kritisch. Für eine qualifizierte Mehrheit wären 15 EU-Staaten nötig, die 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren. Dieses Quorum sah der Vorsitzende offenbar nicht erreicht und ließ daher nicht förmlich über seinen Verordnungsvorschlag abstimmen. Je nach Interpretation der Stellungnahmen fehlen noch fünf bis zehn Prozent der EU-Bevölkerung.
Die erscheinen dem langjährigen Europapolitiker Planas offenbar noch erreichbar. Er werde bis zum Ende der Präsidentschaft weiter hart und konstruktiv an einer Mehrheit arbeiten, so der 71jährige. Dabei hat er vor allem Polen im Visier. Hier wird nach dem Ende der rechten Pis-Regierung morgen mit dem Kabinett des bürgerlich-liberalen Donald Tusk auch ein neuer Agrarminister vereidigt, Czesław Siekierski. Der 71jährige langjährige Europaabgeordnete gehört der mitregierenden Bauernpartei PSL an. Da der Koalitionsvertrag vom November keine Haltung zum Thema Gentechnik festlegt, setzt Luis Planas möglicherweise auf Erfahrungswerte: In seiner früheren Regierungszeit von 2007 bis 2014 habe Donald Tusk einen liberaleren Ansatz gegenüber GVO vertreten, berichtet Łukasz Janeczko, Politikberater des polnischen Zivilgesellschaftlichen Instituts.
Er gibt jedoch zu bedenken, dass die aktuelle Regierung sich aus Koalitionspartnern mit vielfältigen politischen Hintergründen zusammensetzt. „Gegenwärtig sind die Stimmen in der Partei, die das Landwirtschaftsministerium übernehmen wird, in der Frage der gentechnischen Veränderungen geteilt, und es mangelt nicht an Kritikern von GVO oder NGT“, so der Politikberater. Es wird sich also erst noch erweisen müssen, wie sich die neue Regierung bei dem Thema positioniert. Bis dahin gilt nach Einschätzung von Experten ein Beschluss des Ministerrats von 2008, der lautet: „Bei Abstimmungen der EU-Institutionen wird die Regierung der Republik Polen ihre ablehnende Haltung gegenüber der Zulassung der Vermarktung von GVO als Lebensmittel, Futtermittel oder andere Produkte zum Ausdruck bringen.“
Ein weiteres EU-Land, auf dessen Meinungsumschwung Luis Planas hofft, ist Luxemburg. Dort hat im November die christlich-soziale Politikerin Martine Hansen das Amt der Agrarministerin von einer Grünen übernommen. Sie will, so ist aus Luxemburg zu hören, ihr Votum gestern beim Agrarrat als Enthaltung verstanden wissen. Hansen begrüßte den Kompromissvorschlag, herbizidtolerante Pflanzen aus Kategorie 1 herauszunehmen ebenso wie die Möglichkeit eines Opt out bei Kategorie 2. Allerdings lehnte sie Patente auf Pflanzen der Kategorie 1 ab und hielt die bisher vorgesehene Regelung dazu nicht für ausreichend. Da auch mehrere andere Staaten bei der Patentfrage noch Handlungsbedarf sehen, bat Ratspräsident Planas EU-Kommissarin Stella Kyriakides, hierzu noch einen Kompromissvorschlag vorzulegen.
Die Kommissarin räumte ein, dass dieses Thema auch dem Europäischen Parlament wichtig sei und kündigte an, den Wunsch nach Beschleunigung zu beherzigen. Etwas distanzierter äußerte sie sich zum spanischen Vorschlag, herbizidtolerante Pflanzen grundsätzlich in Kategorie 2 einzuordnen, obwohl das ursprünglich sogar im eigenen Vorschlag der EU-Kommission vorgesehen war, dann aber aus unbekannten Gründen wieder gestrichen wurde. Hierzu behalte sich die Kommission ihre Haltung vor, sagte Kyrakides. Das gleiche gelte für die Möglichkeit eines Opt out für Pflanzen der Kategorie 2. Sie bat darum, weiter zügig zusammen zu arbeiten, da man sich angesichts der zu lösenden Probleme keinen Verzug leisten könne.
Wie geht es weiter? Nach Medienberichten erwägt Planas, vor Weihnachten noch eine Abstimmung über einen Kompromiss im Ausschuss der ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten zu versuchen. Es scheint aber rechtlich nicht ganz klar, ob das einen vorläufigen Beschluss im Agrarrat, eine sogenannte allgemeine Ausrichtung, ersetzen oder nur vorbereiten kann. Im letzteren Fall würde der Vorgang als Fortschrittsbericht an die im Januar beginnende belgische Präsidentschaft weitergereicht, die sich dann weiter um einen Mehrheitsbeschluss des Agrarrats kümmern müsste.
Unterdessen hat der federführende Umweltausschuss des Europäischen Parlaments (EP) seine Abstimmung über den NGT-Vorschlag der EU-Kommission vom 11.1. auf den 24.1.2024 verschoben. Das Plenum des EP wird dann voraussichtlich erst im Februar darüber abstimmen. Erst danach kann der Agrarrat seine endgültige Entscheidung treffen. Anschließend wollen Rat, Parlament und Kommission versuchen, sich im Trilogverfahren noch vor Beginn des Europawahlkampfs im Mai über eine NGT-Verordnung zu verständigen. [vef]