Gentechnikentwurf: Übersteht Ratsmehrheit Trilog?

Der Vorschlag Polens, wie die geltenden Regeln für gentechnisch veränderte Pflanzen künftig aufgeweicht werden könnten, habe unter den 27 EU-Mitgliedstaaten gestern die nötige qualifizierte Mehrheit gefunden, teilte die polnische Ratspräsidentschaft mit. Belgien hat aber Vorbehalte erklärt, auch Deutschland fordert Nachbesserungen. Dem Vernehmen nach sollen Ende April Gespräche mit Europäischem Parlament und EU-Kommission starten, um im Trilog einen Kompromiss zwischen den drei divergierenden Regelungsentwürfen zu finden.

Im Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten bei der EU (AStV), wo das Meinungsbild gestern erhoben wurde, wird nicht förmlich abgestimmt. Wie mit der Angelegenheit vertraute Quellen bestätigten, wurde lediglich abgefragt, wer dem vorgeschlagenen polnischen Entwurf zur Regelung neuer gentechnischer Verfahren (NGT) nicht zustimmt. Sechs EU-Staaten hätten den Entwurf abgelehnt – unter anderem Österreich und Ungarn, hieß es. Deutschland und Bulgarien haben Enthaltung signalisiert. Alle übrigen 19 Staaten wurden daraufhin als Befürworter gewertet, selbst wenn sie sich – wie Polen – gar nicht zum Entwurf äußerten. Veröffentlicht werden Meinungsbilder im AStV nicht, weshalb das Verfahren im Vorfeld als „Hinterzimmerpolitik“ kritisiert wurde. Auf Anfrage teilte eine AStV-Sprecherin nur mit, es sei eine „stabile qualifizierte Mehrheit“ erreicht worden.  

Nach Hochrechnung des Infodiensts Gentechnik repräsentieren diese 19 EU-Staaten knapp 69 Prozent der EU-Bevölkerung und liegen damit knapp vier Prozent über der nötigen Quote von mindestens 65 Prozent. Möglich wurde diese Mehrheit nach fast zwei Jahren Verhandlungen im Rat, weil die Regierung Tusk jetzt als Ratsvorsitzende einen Kompromiss vorgeschlagen und unterstützt hat, der ursprünglich von Polen geforderte Elemente wie Kennzeichnung oder Patentausschluss nicht enthält. Das Land, das gut acht Prozent der EU-Bevölkerung repräsentiert, wäre nicht qua Amtes verpflichtet gewesen zuzustimmen.

Wie das Portal EU-Observer berichtet, hätten gentechnikfreundliche EU-Staaten sowie die Agrarindustrie im Vorfeld jedoch massiven Druck auf Regierung und Unternehmen in Polen ausgeübt. Aus gut informierten Kreisen ist zu hören, dass am Ende selbst Bedenken von Regierungsbeamten beiseite gewischt worden seien, die einen Widerspruch sehen zu einem 2008 gefassten, offenbar bis heute gültigen Ministerratsbeschluss, dass Polen bei Abstimmungen in der EU die Vermarktung von GVO als Lebens- oder Futtermittel ablehnt. Auf die Frage, warum Polen trotz entgegenstehender nationaler Beschlusslage einer Aufweichung der Gentechnikregeln in der EU zustimmt, antwortete eine Sprecherin der Ratspräsidentschaft: „Es liegen noch lange Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament vor uns. … Erst am Ende dieses Prozesses wird der Text für die endgültige Annahme bereit sein.” Klingt, als würde Polen sich seine endgültige Position zur Deregulierung von NGT-Pflanzen offen halten.

Zünglein an der Mehrheitswaage im AStV waren am Ende Belgien und Griechenland. In Belgien leben 2,6 Prozent der EU-Bürger. Zwar scheint auch die neue Mitte-rechts-Regierung in Sachen Agrogentechnik weiter gespalten. Doch offenbar haben sich Agrarminister David Clarinval und der gentechnikkritische Umweltminister Jean-Luc Crucke auf eine Zustimmung unter Vorbehalt verständigt: Schriftlich erklärten sie im AStV, dass Belgien einem Trilogergebnis im Ministerrat nicht ohne Weiteres zustimmen werde, wenn es keine Regeln zu Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit von NGT-Pflanzen, zur Patentierung und zur Koexistenz mit der gentechnikfreien Landwirtschaft enthalte. Das Ergebnis des Trilogs muss vom Ministerrat in förmlicher Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit bestätigt werden, bevor es Gesetz werden kann.      

Griechenland (2,3 Prozent der EU-Bevölkerung), berichtet das Portal Euractiv, habe im AStV wörtlich gesagt, es sei „nicht gegen“ den polnischen Entwurf. Ein Kenner der Prozesse weist darauf hin, dass das nicht zwangsläufig eine Zustimmung bedeutet, wie es dem Vernehmen nach im AStV gewertet wurde. Es könnte auch als Enthaltung interpretiert werden. Eine qualifizierte Mehrheit wäre im AStV trotzdem zustande gekommen, sie wäre aber knapper. Sollten Belgien und Griechenland sich nach dem Trilog im Ministerrat beide enthalten, wäre die aktuelle Mehrheit jedoch wieder dahin.    

Was aber hat der AStV nun als Verhandlungsmandat für den Europäischen Rat beschlossen? Die gestern verabschiedete Fassung vom 7. März ist identisch mit der letzten Entwurfsfassung, die von der polnischen Ratspräsidentschaft am 19. Februar 2025 vorgelegt wurde. Das vorliegende Papier unterscheidet sich inhaltlich kaum noch von der Fassung, mit der die spanische Ratspräsidentschaft vor einem Jahr scheiterte. Neu ist lediglich, dass die Anbieter von NGT-Pflanzen vorab Auskunft geben müssen, ob diese Pflanzen patentiert sind oder eine Patentierung beantragt wurde. In diesem Fall können sie ihre Bereitschaft erklären, Lizenzen für die Nutzung ihrer NGT-Pflanzen zu gewähren.

Den ursprünglichen Vorschlag der EU-Kommission vom Sommer 2023 wollen die Mitgliedstaaten neben der obligatorischen Patentauskunft nur in wenigen Punkten ändern. Mitgliedstaaten können den Anbau von Pflanzen der Kategorie NGT 2 auf ihrem Hoheitsgebiet verbieten (optout-Regelung) oder Maßnahmen zur Koexistenz von NGT 2-Pflanzen und gentechnikfreiem Anbau erlassen. Allerdings werden diese Regelungen in der Praxis kaum eine Rolle spielen. Denn der überweigende Teil der NGT-Pflanzen werden in die Kategorie 1 fallen, für die keine Zulassung mehr nötig ist, da sie angeblich auch durch konventionelle Züchtung entstehen könnten. Neu ist auch, dass NGT-Pflanzen mit einer Herbizidresistenz automatisch in die Kategorie 2 fallen. Ferner soll die EU-Kommission früher als von ihr bisher vorgesehen einen Bericht über die Auswirkungen von NGT-Patenten vorlegen.

In der Mitteilung der Ratspräsidentschaft heißt es, der Standpunkt des Rates stelle auch klar, dass die Mitgliedstaaten Maßnahmen ergreifen können, um das unbeabsichtigte Vorhandensein von NGT-Pflanzen der Kategorie 1 im ökologischen Landbau in ihrem Hoheitsgebiet zu vermeiden. Allerdings findet sich diese Formulierung nicht in der Verordnung selbst, sondern nur in den Erwägungsgründen, deren rechtliche Bindungswirkung umstritten ist. Zudem werden darin als Beispiele Gebiete mit besonderen geografischen Bedingungen, wie bestimmte Mittelmeerinseln und Inselregionen genannt, was wohl vor allem als Tribut an Griechenland verstanden werden kann.

Der Regelungsentwurf für NGT-Pflanzen, den das Europaparlament in den Trilog einbringen wird, unterscheidet sich von der jetzt verabschiedeten Ratsposition in zwei Punkten. Das Parlament verlangt eine Kennzeichnung von NGT-Pflanzen der Kategorie 1 über die gesamte Lebensmittelkette hinweg sowie deren Rückverfolgbarkeit. Zudem sollen NGT-Pflanzen nicht patentiert werden dürfen. Solche Regelungen vermisst Bundesagrarminister Cem Özdemir im aktuellen Beschluss des AStV. Außerdem fordert er Koexistenzregeln, die sicherstellen, dass alle, die gentechnikfrei wirtschaften wollen, das auch weiter erfolgreich tun können. In all diesen Punkten müsse im anstehenden Trilog nachgebessert werden. Der beginnt aber nach aktuellem Planungsstand erst nach dem Ende der Amtszeit des grünen Ministers. Denn Friederich Merz möchte sich am 23. April zum Kanzler einer CDU-SPD-Koalition wählen lassen. Wie sich diese Koalition zum Thema Agrogentechnik positionieren wird, wird aktuell verhandelt. [vef/lf]       

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