Polen will seinen umstrittenen Vorschlag damit von der Arbeits- auf die politische Ebene heben. Die Arbeit gehe “gut voran, und wir hoffen, dass wir bei diesem Dossier Fortschritte machen werden”, schrieb eine Sprecherin der Ratspräsidentschaft dem Infodienst Gentechnik im Blick auf den AStV. Die Frage, ob Polen selbst seinem Vorschlag mit seinem Votum zur nötigen qualifizierten Mehrheit verhelfen werde, beantwortete die Sprecherin nicht. Zuvor hatten bereits andere Medien den Eindruck, der polnische Agrarminister Siekierski weiche dieser Frage aus. Sollte die polnische Regierung sich bei dem Thema selbst nicht einig sein? Polen hatte sich bis zum Beginn seiner Ratspräsidentschaft im Januar gentechnikkritisch positioniert. Seine ursprünglichen Forderungen wie Kennzeichnung und Koexistenzregeln für NGT-Pflanzen sind in seinem aktuellen Kompromissvorschlag nicht enthalten. Das Land hatte mehrfach betont, dass es sich als Ratspräsident beim NGT-Disput in der Rolle eines ehrenwerten Vermittlers zwischen den EU-Ländern sieht. Aus einem Treffen der Attachés des AStV im Februar war jedoch bekannt geworden, dass der polnische Vertreter sich dort zugunsten des eigenen Vorschlags positioniert hatte.
Die deutschen Vorstellungen scheinen für Polen kaum eine Rolle zu spielen. Bundesagrarminister Cem Özdemir hat auch den jüngsten polnischen Regelungsentwurf wieder deutlich kritisiert: Er enthalte „keine ausreichenden Verbesserungen zu den zentralen Themen Koexistenz, Transparenz, Wahlfreiheit und der Patentierbarkeit“, so der Grünenpolitiker heute in Stuttgart. Er wolle sich in Brüssel für „Nachbesserungen für eine faire, praktikable und gesellschaftlich akzeptierte Regulierung“ von NGT-Pflanzen einsetzen, versprach der scheidende Ampelminister einer Abordnung von 376 Unternehmen der Lebensmittelwirtschaft aus 16 EU-Ländern, die ihm ihre Forderungen überreichte: neben der Pflicht zur Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit EU-weit verbindliche, national und regional angepasste Koexistenz-Maßnahmen, Haftungsregeln gemäß dem Verursacherprinzip, einen Entschädigungsfonds für unvermeidbare Kontaminationen sowie die Verpflichtung für Gentechnik-Firmen, bei Markteinführung von NGT-Pflanzen Nachweismethoden dafür bereitstellen zu müssen.
Mit seiner Enthaltung war Deutschland bisher gemeinsam mit Österreich, Ungarn und einer Reihe kleinerer Staaten Teil einer Sperrminorität, die die nötige qualifizierte Mehrheit von 55 Prozent der Mitgliedstaaten, die 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren, für den polnischen Entwurf verhinderte. Die Frage ist jedoch, wie lange diese Sperrminorität noch stehen wird. Wie eine mögliche künftige Regierungskoalition von Union und SPD sich zu den Gentechnikregeln positionieren wird, ist bislang unklar. Vor der Wahl hatte sich die Union gentechnikfreundlich gezeigt, die SPD hatte für Kennzeichnung, Rückverfolgbarkeit und Risikobewertung plädiert. Unionkanzlerkandidat Friedrich Merz will bis Ostern eine Regierung bilden.
Die neue österreichische Regierung ist schon weiter: „Die Bundesregierung setzt sich auf europäischer Ebene dafür ein, dass neue genomische Techniken eine Risikobewertung sowie ein Zulassungsverfahren durchlaufen und die Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit garantiert wird, insbesondere um die Koexistenz zu gewährleisten (z.B. mit der biologischen Produktion)“, heißt es im Koalitionsvertrag von ÖVP, SPÖ und Neos. Damit dürfte Österreich weiter gegen die Deregulierungsbemühungen auf EU-Ebene stimmen. Auch bei Ungarn ist kein Meinungswechsel in Sicht.
Die kleineren Mitglieder der Sperrminorität versucht Polen von einer Umkehr zu überzeugen. Während die belgische Regierungskoalition dem Vernehmen nach weiter über eine gemeinsame Position streitet, scheint Bulgarien seinen gentechnikkritischen Standpunkt beizubehalten. Das versicherte ein Vertreter des Agrarministeriums heute in einem Regierungsausschuss für GVO, wie der Infodienst von einem beteiligten Vorstandsmitglied des bulgarischen Bio-Bauernverbandes Agrolink erfuhr. Ein Wackelkandidat könnte dem Vernehmen nach noch Griechenland sein. Würde die nötige Mehrheit im AStV erreicht, könnten Rat, Europäisches Parlament und EU-Kommission anschließend die Trilogverhandlungen über den Gesetzentwurf für NGT-Pflanzen starten. "Es wäre fatal, wenn dieser unausgegorene Vorschlag überstürzt schon am 14. März 2025 weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit ... als Position des Ministerrates ... festgelegt würde", kritisierte die Unternehmensinitiative. Agrarminister Özdemir müsse sich für Nachbesserungen einsetzen und dafür, dass der Rat der EU-Agrarminister sich in öffentlicher Sitzung zu dem polnischen Entwurf positioniert. [vef]