Wie eine EU-Beamtin dem Infodienst Gentechnik auf Anfrage mitteilte, hätten bei dem Treffen von Attachés der Ständigen Vertretungen bei der EU viele Delegationen den Text weitgehend unterstützt. Zugleich hätten sie noch Zeit erbeten, um Details zu prüfen, da ihnen der neue Vorschlag der aktuellen polnischen Ratspräsidentschaft erst zwei Tage vor dem Treffen zugegangen war. Man werde also weiter beraten. Der Ratsvorsitz werde das Dossier an die Ständigen Vertreter weiterleiten, sobald er es „für solide und bereit für die politische Ebene hält”, hieß es weiter. Werde dort festgestellt, dass 55 Prozent der Mitgliedstaaten, die 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren, dafür sind, wäre der Weg für Trilog-Verhandlungen mit EU-Parlament und EU-Kommission über die NGT-Verordnung frei.
Dies ist bereits der dritte Anlauf, mit dem Polen versucht, die im Ministerrat festgefahrene Debatte zu den geplanten Regelungen für Pflanzen aus neuen gentechnischen Verfahren (NGT) wieder flott zu machen. Das jetzt vorliegende Papier unterscheidet sich inhaltlich kaum noch von der Fassung, mit der die spanische Ratspräsidentschaft vor einem Jahr scheiterte. Neu ist lediglich, dass die Anbieter von NGT-Pflanzen vorab Auskunft geben müssen, ob diese Pflanzen patentiert sind oder eine Patentierung beantragt wurde. In diesem Fall können sie ihre Bereitschaft erklären, Lizenzen für die Nutzung ihrer NGT-Pflanzen zu gewähren. „Auch der dritte polnische Vorschlag löst die Patentproblematik nicht, stattdessen ist er noch schwammiger geworden“, kommentierte Annemarie Volling, Gentechnikexpertin der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft.
Im Entwurf würden „zentrale Forderungen nach einer transparenten Kennzeichnung auf Saatgut und Lebensmitteln sowie einer verpflichtenden Risikoprüfung für alle NGT-Pflanzen in den folgenden Verhandlungen nicht berücksichtigt – mit potenziell schweren Folgen für die Umwelt“, befürchtet der Umweltverband BUND. Diese Sorge teilen mehr als 200 europäische Organisationen. Sie warnen in einem gemeinsamen Statement vor übereilten Beschlüssen „angesichts der potenziellen Risiken neuer GVO für die menschliche Gesundheit und die Natur sowie der vielen ungelösten Fragen, die auf dem Tisch liegen, wie Patente, Identifizierungs- und Nachweismethoden, Saatgutpreise, Saatgutvielfalt, Koexistenz, negative sozioökonomische Auswirkungen und das Risiko einer weiteren Kontrolle der Lebensmittelkette durch Unternehmen“.
Bei ihrem ersten Anlauf im Januar hatten die Polen noch zwei weitere Änderungen vorgesehen. NGT-Saatgut sollte entsprechend gekennzeichnet werden, wenn Patente vorliegen oder beantragt wurden. Zudem hätten die Mitgliedstaaten dessen Anbau auf ihrem Gebiet unter bestimmten Bedingungen einschränken oder ganz untersagen können. Bei einem Treffen der zuständigen Arbeitsgruppe am 20. Januar monierten die gentechnikkritischen Mitgliedstaaten, die Änderungen seien untauglich und wesentliche Kritikpunkte wie die wegfallende Risikobewertung und Transparenz würden gar nicht behandelt. Auch im Pro-Gentechnik-Lager gab es gut informierten Kreisen zufolge kritische Stimmen, denen diese polnischen Regelungsvorschläge bereits zu weit gingen.
Die polnische Ratspräsidentschaft griff diese Kritik aus dem Pro-Gentechnik-Lager auf. Für das nächste Treffen der Arbeitsgruppe am 14. Februar legte sie eine Woche vorher eine neue Fassung vor, in der sie die beiden Änderungen wieder zurücknahm. Übrig blieb lediglich die Informationspflicht zu Patenten. Diese solle ein Gleichgewicht zwischen einem wirksamen Schutz von Erfindungen und einem breiten Zugang zu Sorten für die Züchtung gewährleisten, schrieben die Polen zur Erläuterung. Bei diesem Arbeitstreffen kam es zu keinen Ergebnissen, dem Vernehmen nach, weil einige Mitgliedstaaten sich innerhalb der kurzen Frist nicht positionieren konnten. Deshalb landete das Thema nun beim Treffen der Attachés. Für die dritte Version des Entwurfs hat die Ratspräsidentschaft noch kleine Änderungen vorgenommen, von denen eine bezeichnend ist: Die Lizenzen sollen nun nicht mehr nach „fairen, angemessenen und nichtdiskriminierenden Bedingungen“ erteilt werden, sondern nur noch in allen Mitgliedstaaten unter „gleichen Bedingungen“.
Dass eine qualifizierte Mehrheit für den polnischen Vorschlag in Sichtweite ist, liegt auch daran, dass sich Polen mit Übernahme der Ratspräsidentschaft im Januar offenbar von seiner bisherigen, gentechnikkritischen Haltung verabschiedet hat. Wie aus Teilnehmerkreisen der heutigen Sitzung zu hören war, ist davon auszugehen, dass die Regierung nicht nur als Moderatorin nach einem Kompromiss sucht, sondern selbst hinter dem von ihr vorgelegten Entwurf steht. „Das ist eine totale Kehrtwende“, stellt Franziska Achterberg von der Kampagne Save our Seeds fest. „Noch vor kurzem forderte Polen eine vollständige Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit von gv-Pflanzen. Züchter und Landwirte sollten von patentiertem Saatgut verschont werden. Doch davon ist nichts mehr übriggeblieben.“
Damit wird die bisherige Sperrminorität von Deutschland, Österreich, Ungarn und einer Reihe kleinerer Staaten sehr knapp. Jüngste Äußerungen der deutschen Übergangsregierung sprechen dafür, dass sie sich bei diesem Thema bis zur Bildung einer neuen Bundesregierung in den Brüsseler Gremien weiter enthalten wird. Wie sich die neue belgische Regierung, die sich bislang ebenfalls enthielt, künftig positionieren wird, scheint dem Vernehmen nach noch nicht endgültig entschieden. In ihrem Koalitionsvertrag jedenfalls steht, sie unterstütze „die Initiativen auf europäischer Ebene, die neue genomische Techniken zur genetischen Verbesserung von Pflanzen fördern“. Ob in der Form, wie es Polen aktuell vorschlägt, wird sich wohl bald erweisen. [lf/vef]