Sitzungsraum des Europäischen Rates (Foto: Council of the European Union)

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Polen schlägt Patentregelung für neue Gentechnik vor

Kaum hat Polen am 1. Januar den Vorsitz des Europäischen Rates übernommen, legt es schon einen Kompromissvorschlag vor, wie die Regeln für Pflanzen aus neuen gentechnischen Verfahren (NGT) gelockert werden könnten. Demnach soll das Saatgut patentierter NGT-Pflanzen gekennzeichnet und den EU-Mitgliedstaaten erlaubt werden, den Anbau solcher Pflanzen zu verbieten. Verbände aus Landwirtschaft und Umweltschutz kritisieren den Vorschlag als „schwach“ und nicht zielführend. Wesentliche Probleme blieben ungelöst.

Polen, das den Verordnungsentwurf der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2023 wegen ungelöster Patentfragen bislang abgelehnt hatte, hat seinen Entwurf vom 7. Januar dem Vernehmen nach schon länger vorbereitet. Am 20. Januar soll er in einer Arbeitsgruppe der europäischen Agrarministerien zu Gentechnik in der Landwirtschaft (Working Party on Genetic Resources and Innovation in Agriculture) diskutiert werden. Er besteht im Wesentlichen aus der Ratsfassung von 2024, die um Regeln zu Patenten ergänzt wurde, und liegt dem Informationsdienst Gentechnik vor (Datei im Anhang). In der Arbeitsgruppe will Polen ausloten, ob es dafür eine qualifizierte Mehrheit unter den 27 EU-Mitgliedstaaten gewinnen kann. Im Rat der Agrarminister müssten 55 Prozent der EU-Mitglieder zustimmen, die 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren, damit der Gesetzgebungsprozess, der sogenannte Trilog mit EU-Parlament und Kommission, weitergehen kann. Sollte sich eine solche Mehrheit nicht abzeichnen, könnte der Entwurf weiter modifiziert werden. Polen ist es laut seinem Programm für seine sechsmonatige Ratspräsidentschaft sehr wichtig, bei der geplanten NGT-Verordnung eine Einigung unter den Mitgliedstaaten zu erzielen.

Zur Erinnerung: Nach dem Verordnungsentwurf der EU-Kommission vom Sommer 2023 dürften die meisten mit neuen gentechnischen Verfahren hergestellten Pflanzen ohne Risikoprüfung und Kennzeichnung der daraus hergestellten Produkte auf den Markt kommen. Ende 2023 stimmte das EU-Parlament dem Vorschlag mit einigen Änderungen zu; darunter war auch eine Kennzeichnungspflicht für Lebensmittel aus NGT-Pflanzen oder mit NGT-Zutaten. Die 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union konnten sich dagegen nicht mit der nötigen qualifizierten Mehrheit auf eine gemeinsame Position zu dem NGT-Vorschlag der EU-Kommission verständigen. Mehrere kleine EU-Staaten lehnten ihn grundsätzlich ab; Deutschland und Polen enthielten sich. Alle Versuche der belgischen Ratspräsidentschaft in der ersten Jahreshälfte 2024, das nötige Quorum zu erreichen, scheiterten. Die gentechnikkritischen Ungarn legten das Thema während ihrer Präsidentschaft in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres auf Eis.

Polen hatte seine Enthaltung bislang vor allem damit begründet, dass die Patentproblematik unzureichend geregelt sei. Auch NGT-freundliche Mitgliedstaaten und Organisationen thematisierten die Gefahr, dass Patente auf NGT-Pflanzen, die meist von großen Gentechnik-Konzernen gehalten werden, den Züchtungsfortschritt behindern und Landwirt:innen abhängig machen könnten. Deshalb hat die polnische Ratspräsidentschaft den Verhandlungsstand zwischen den Mitgliedstaaten vom Februar 2024 aufgegriffen und im Wesentlichen um zwei Regelungen ergänzt: Der Vorschlag unterscheidet nun zwischen NGT-Pflanzen und Produkten, die frei von allen patentrechtlichen Ansprüchen sind, sowie solchen, für die Patente von EU-Mitgliedstaaten oder vom Europäischen Patentamt erteilt oder dort beantragt wurden. Die Hersteller der Pflanzen werden dazu verpflichtet, entsprechende Angaben zu machen, die dann von der EU-Kommission überprüft werden sollen. Das Saatgut dieser Pflanzen soll zusätzlich zur bislang vorgesehenen Angabe „Kategorie NGT 1“ auch mit „patentgeschützt“ oder „Patent angemeldet“ gekennzeichnet werden. Zusätzlich räumt der Vorschlag den Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein, den Anbau solcher patentierten NGT-Pflanzen auf ihrem Staatsgebiet ganz oder teilweise zu verbieten. Eine entsprechende Regelung, Opt-out genannt, gibt es in der EU bereits seit 2015 für den Anbau herkömmlicher Gentechnik-Pflanzen.

In der Diskussion waren bisher auch Vorschläge, die Patentierbarkeit von NGT-Pflanzen generell zu verbieten oder per Definition klarzustellen, dass nur nicht patentierte NGT-Pflanzen von den Anforderungen des Gentechnikrechts ausgenommen würden. Demgegenüber ist der polnische Vorschlag deutlich zurückhaltender, da er als einzige potenzielle Konsequenz ein nationales Anbauverbot für patentierte NGT-Pflanzen vorsieht. Verkauft werden dürften diese Pflanzen und daraus hergestellte Produkte EU-weit, ohne dass sie gekennzeichnet und damit für Verbraucher:innen erkennbar wären.  

Die grüne Bundestagsfraktion hatte im Dezember 2024 ein Gutachten des Jura-Professors Axel Metzger von der Humboldt-Universität Berlin vorgestellt. Er kam zu dem Ergebnis, dass es gegen das Europäische Patentübereinkommen (EPÜ) verstoßen würde, NGT-Pflanzen den Patentschutz komplett zu verweigern. Völkerrechtlich zulässig sei es dagegen, natürliche Pflanzen und deren Gensequenzen von der Patentierbarkeit auszunehmen. Patentrechtlich zulässig sei es laut Metzger auch, patentierte Pflanzen von der NGT-Liberalisierung auszuschließen. Allerdings sei zweifelhaft, ob eine solche Regelung mit europäischem Recht vereinbar sei. Metzgers Gutachten enthält weitere Vorschläge, wie die bestehenden Patentregelungen verschärft werden könnten, um die Auswirkungen von NGT-Patenten zu verringern. Der jetzt veröffentlichte polnische Vorschlag lag noch nicht vor, als das Gutachten erstellt wurde.

Christoph Then vom gentechnikkritischen Institut Testbiotech nannte diesen Vorschlag „schwach“. Er werde „viele rechtliche und politische Probleme für die Mitgliedstaaten aufwerfen“ und biete den Unternehmen keine Rechtssicherheit, da nationale Regelungen jederzeit von einer neuen Regierung geändert werden könnten. Außerdem würde sich der polnische Vorschlag kaum bis gar nicht auf die fortschreitende Konzentration des Saatgutmarktes auswirken. Ähnlich sieht das die Umweltorganisation Friends of the Earth Europe (deutsch: Freunde der Erde Europas). Das eigentliche Problem liege in der bestehenden Patentgesetzgebung, die mit Schlupflöchern gespickt sei und die Macht einiger weniger Agrarkonzerne über den Lebensmittelsektor begünstige, schrieb die Organisation. Auch mit dem polnischen Vorschlag würde kleinen und mittleren Züchtern der Zugang zu wichtigen genetischen Ressourcen verwehrt. Pia Voelker, Gentechnikexpertin beim Umweltverband BUND, kritisierte, Polen bleibe die Antwort schuldig, „wie die breite Patentierung von Pflanzen und Pflanzenmaterial zu verhindern ist“. Die polnische Ratspräsidentschaft begründete ihr Vorgehen in einem Begleitschreiben zu dem Vorschlag damit, dass weder die Mitgliedstaaten noch die EU-Kommission die europäischen Patentvereinbarungen ändern wollten.

Jenseits des Themas Patente hat die polnische Ratspräsidentschaft keinen der vielen Kritikpunkte von Mitgliedstaaten am NGT-Vorschlag der EU-Kommission aufgegriffen. Weiterhin fehlt eine umfassende Kennzeichnung von Lebensmitteln aus oder mit NGT-Pflanzen. Auch gibt es keine Regelungen, die eine Koexistenz zwischen NGT-Pflanzen und gentechnikfreier Landwirtschaft sicherstellen. Der polnische Vorschlag zeige keine Lösungen auf, um die Gentechnikfreiheit unserer Lebensmittelerzeugung zu sichern, kritisierte Claudia Gerster, Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL): „Dazu müssen wirksame Koexistenz- und Haftungsregelungen und die Sicherung der gentechnikfreien Erzeugung entlang der gesamten Wertschöpfungskette vorgeschrieben werden, sowie die Risikoprüfung aller NGTs, die Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung bis zum Endprodukt.“ Tina Andres, Vorstandsvorsitzende des Biodachverbandes BÖLW monierte, dass der Vorschlag die Koexistenz-Frage ungelöst lasse. Franziska Achterberg von der Kampagne “Save our Seeds” (deutsch: Rettet unser Saatgut) forderte die polnische Ratspräsidentschaft auf, “sich für Mindestsicherheitsstandards, Transparenz und Fairness gegenüber den Landwirten einzusetzen”.

Angesichts all dieser Kritikpunkte erscheint es zweifelhaft, ob der Vorschlag der vierten Ratspräsidentschaft seit dem Kommissionsentwurf von 2023 eine qualifizierte Mehrheit erreichen wird. Zwar fehlte zuletzt nicht mehr viel und Polen wird jetzt für seinen Vorschlag stimmen. Doch die Opt-out-Regelung dürfte umgekehrt bisherige Befürworter zu Gegnern machen. Der Ausgang der Abstimmung bleibt also ungewiss. [lf/vef]

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