Gemüse im Einzelhandel. Foto: CCO

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Gutachten: Lebensmittelwirtschaft haftet für neue Gentechnik

Die von der Europäischen Kommission geplante Aufweichung der Gentechnik-Regeln für Pflanzen, die mit neuen gentechnischen Verfahren (NGT) hergestellt wurden, hätte eine gravierende Konsequenz: Sicherheitsprüfung und Haftungsrisiken für NGT-Pflanzen und daraus hergestellte Produkte würden von den Gentechnik-Unternehmen auf die Lebensmittelwirtschaft verlagert. Zu diesem Ergebnis kam ein Rechtsgutachten, das der Verband Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG) kürzlich veröffentlichte.

Erstellt hat es die renommierte Berliner Kanzlei GGSC im Auftrag des VLOG. Sie hebt darin hervor, dass die geplante Deregulierung von NGT-Erzeugnissen Lebensmittelunternehmen „mit erheblichem zusätzlichem Prüf- und Zulassungsaufwand“ belaste. Dem Gutachter zufolge sind Unternehmen für die Sicherheit der Lebensmittel verantwortlich, die sie herstellen. Sie haften deshalb für fehlerhafte Produkte - auch für solche, die mithilfe neuer Gentechnik hergestellt wurden. Bei Produkten aus klassischer Gentechnik konnten die Unternehmen sich bislang darauf berufen, dass staatliche Stellen deren Sicherheit und Verwendbarkeit als Lebensmittel im Zulassungsverfahren umfassend geprüft und bestätigt hatten. Zudem waren diese Produkte bis hin zur Zutatenliste durchgehend gekennzeichnet. Unternehmen wussten also, womit sie es zu tun hatten. NGT-Lebensmittel hingegen sollen – nach dem Vorschlag der EU-Kommission – ungeprüft und ohne Kennzeichnung auf den Markt kommen. Daraus ergeben sich laut Gutachten mehrere teure Konsequenzen.

So kann es sein, dass eine NGT-Pflanze in den Bereich der Novel Food Verordnung der Europäischen Union fällt. Diese schreibt vor, dass Lebensmittel, die vor 1997 in der EU nicht verwendet wurden, gesondert geprüft und zugelassen werden müssen. Dies gilt dann, wenn diese Lebensmittel eine neue oder gezielt veränderte Molekularstruktur aufweisen oder wenn sie so verändert wurden, dass dies den Nährwert, die Verstoffwechselung oder den Gehalt an unerwünschten Stoffen beeinflusst. Eine solche Novel Food Zulassung mussten etwa Chiasamen oder Nonifrüchte durchlaufen, bevor sie auf den Markt durften, aber auch Raps- oder Maiskeimöle mit geänderter Zusammensetzung ihrer Bestandteile. Vermutlich würden auch ein NGT-Weizen mit weniger Allergenen oder die japanische NGT-Tomate mit einem erhöhten Gehalt des Wirkstoffes GABA unter die Novel Food Verordnung fallen. Doch das müssten – so das Gutachten - dann nicht deren Hersteller abklären, sondern die Lebensmittelunternehmen, die solche Produkte verarbeiten und vermarkten.

Sie tragen auch das Risiko, dass die Behörden ein NGT-Lebensmittel aus dem Verkehr ziehen, weil es nach deren Meinung eine Novel Food Zulassung bräuchte, aber keine hat. Um dem zu entgehen, müssten die Unternehmen vorab ein Konsultationsverfahren starten, also offiziell beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) nachfragen, ob das Produkt als Novel Food angesehen wird. Das wiederum können sie nur, wenn sie wissen, dass in einem Produkt NGT-Pflanzen stecken. Das wäre schwierig, wenn die Produkte nach den geplanten Regeln nicht mehr gekennzeichnet werden müssten. „Dies bedeutet, dass Lebensmittelunternehmen entlang der gesamten Lebensmittelkette, vom Landwirt bis zum Einzelhändler, unwissentlich gegen die Novel-Food-Verordnung verstoßen könnten“, bringt das der Verband der europäischen Ohne Gentechnik Wirtschaft (ENGA) auf den Punkt. „Eine Möglichkeit, sich vor diesem Gesetzesverstoß zu schützen, besteht darin, dass die Unternehmen sich von ihren Lieferanten versichern lassen, dass die Lebensmittel keine NGT1-Produkte enthalten“, schreibt ENGA.

Unabhängig von der Novel Food Thematik gelten für alle NGT-Pflanzen und daraus hergestellte Lebensmittel die Haftungsregeln des deutschen Gentechnikgesetzes. Demnach haftet, wer als erstes einen gentechnisch veränderten Organismus (GVO) in Deutschland in Verkehr bringt. Das kann auch eine NGT-Pflanze sein. Das betroffene Unternehmen würde für alle Sach- und Gesundheitsschäden haften, die dieser GVO verursacht. Es haftet laut Gutachten sogar für Gefahren „die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens nicht erkennbar waren“. Die gesamte Haftung entfällt nur, wenn der GVO vorher nach Gentechnikrecht zugelassen wurde. Das Gutachten vertritt die Meinung, eine Zulassung als Novel Food dürfte „nicht als gleichwertige Genehmigung einzustufen sein, weil dafür weniger strenge Anforderungen gelten“. Das Gutachten sieht einen ersatzfähigen Schaden auch, „wenn ein Lebensmittelunternehmen einem Hersteller von Lebensmitteln ‚ohne Gentechnik‘ ein Vorprodukt liefert, das unerkannt NGT-Erzeugnisse der Kategorie 1 enthält“. Da in solchen Fällen die Lieferanten üblicherweise verbindliche „Ohne Gentechnik“-Erklärungen ausstellen, wäre das Unternehmen in der Lebensmittelkette haftbar, „das die fehlerhafte Kennzeichnung eines Vorprodukts aufgrund einer eigenen Sorgfaltspflichtverletzung zu verantworten hat“. Allerdings, so schränkt der Gutachter ein, sei dies bislang gerichtlich nicht geklärt.

Mit ihren Gentechnik-Plänen „verschiebt die EU-Kommission Kosten und Risiken höchst unfair von einem Wirtschaftsbereich auf einen anderen“, kommentierte VLOG-Vorstandsmitglied Christoph Zimmer die Ergebnisse des Gutachtens. Zwar könnten Lebensmittelunternehmen in einem Schadensfall Haftungsansprüche gegen die Hersteller von NGT geltend machen. Das Gutachten weist jedoch darauf hin, dass viele NGT-Pflanzen von kleinen und wenig finanzkräftigen Biotech-Unternehmen entwickelt würden und keine Versicherung Gentechnik-Risiken abdecke. Für VLOG-Vorstand Zimmer folgt daraus: „Die bestehende Gesetzeslücke muss geschlossen werden, etwa durch einen verpflichtenden Haftungsfonds, in den alle Hersteller neuer Gentechnik-Pflanzen einzahlen müssen“. Außerdem müssten Risikoprüfung und durchgehende Kennzeichnung für alle Arten von Gentechnik-Erzeugnissen, auch für NGT, verpflichtend bleiben. Zu diesem Schluss kommt auch das Gutachten. [lf]

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