Gentechnikprotest bei der Agrardemo in Berlin im Januar 2025. Foto: Moritz Richter/www.wir-haben-es-satt.de

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Neue Gentechnik: Massive Kritik an der Ratsposition

Umwelt- und Bioverbände sowie Organisationen der gentechnikfreien Landwirtschaft haben die vergangenen Freitag festgelegte Ratsposition zu neuen gentechnischen Verfahren (NGT) scharf kritisiert. Sie hoffen nun darauf, dass die Unterhändler:innen des EU-Parlaments im anstehenden Trilog an den Positionen des Parlaments zur Kennzeichung und Patentierung von NGT-Pflanzen festhalten. Und dass die SPD in den anstehenden Koalitionsverhandlungen mit CDU/CSU ihre bisherige gentechnikkritische Position nicht aufgibt.

Die am Freitag gefundene Ratsposition sei „ein besorgniserregender Start in die anstehenden Verhandlungen mit Parlament und Kommission“, sagte Florian Schöne, Geschäftsführer des Naturschutzdachverbandes DNR. Würde, wie die jetzige Ratsposition dies vorsieht, „sowohl Risikoprüfungen als auch die Gentechnik-Kennzeichnung auf dem Produkt für das Gros der zu erwartenden Gentech-Pflanzen wegfallen, stünde das geltende Vorsorgeprinzip auf dem Spiel“. Olaf Bandt, Vorsitzender des Umweltverbandes BUND fügte hinzu, dass auch „ Wildpflanzen ohne Zulassungsverfahren verändert und freigesetzt werden könnten. „Das gefährdet Biosysteme und Natur“, sagte Bandt. Für Friends of the Earth Europe warf deren Campaignerin Mute Schimpf den zustimmenden Regierungen vor, sie hätten sich „die Seite der Profite einer Handvoll Großkonzerne geschlagen, anstatt das Recht der Landwirte und Verbraucher auf Transparenz und Sicherheit zu schützen“.

Tina Andres, Vorsitzende des Bio-Spitzenverbands BÖLW, bezeichnete den Freitag als „schwarzer Tag für die Wachstumsbranche Bio“. Die mehrheitliche Entscheidung der EU-Staaten drohe die ökologische Land- und Lebensmittelwirtschaft in große Bedrängnis zu bringen. „Weder die Frage der Haftung bei unbeabsichtigter Kontamination mit NGT, noch Vorschriften für eine echte Koexistenz des Anbaus mit und ohne neuer Gentechnik sind bisher geklärt – ganz abgesehen von der Patentierung von Saatgut und Pflanzen“, sagte Andres. Für den europäischen Bio-Dachverband Ifoam Organics Europe sagte dessen Präsident Jan Plagge, der „Standpunkt des Rates verfehlt das Ziel, den europäischen Züchtungssektor vor der Bedrohung durch den Patentschutz zu schützen, und das trotz der weit verbreiteten und ermutigenden politischen Unterstützung für eine substanzielle Lösung in dieser wichtigen Frage“.

Der europäische Verband der gentechnikfreien Lebensmittelwirtschaft, ENGA, nannte die Ratsposition „höchst enttäuschend“. Ohne Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung für die Mehrheit der NGT-Pflanzen würden der Lebensmittelsektor und die Verbraucher nicht wissen, ob NGTs in ihren Wertschöpfungsketten oder auf ihren Tellern sind. Aus Sicht von ENGA hat der Rat damit das im Vertrag der Europäischen Union verankerte Recht der Verbraucher:innen auf Information aufgegeben. Der Verband für Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG) erinnerte an sein im Januar 2025 vorgestelltes Rechtsgutachten, wonach die Deregulierung von NGT „gravierende Auswirkungen und Risiken für den gesamten Lebensmittelsektor“ mit sich bringe.

Das Europa-Parlament hatte bei der Festlegung seiner Position im Februar 2024 die durchgängige Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung von NGT in der Lebensmittelkette mit aufgenommen. Damals allerdings mit sehr knapper Mehrheit und gegen den Willen der EU-Kommission und der sie tragenden Europäischen Volkspartei EVP. „Die konservative Verhandlungsführerin im Parlament muss den Willen der EU-Bürger respektieren und darf hier in den Verhandlungen mit Rat und Kommission keine Abstriche machen“,mahnte deshalb der grüne Europaabgeordnete Martin Häusling. Für Claudia Gerster, Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) ist klar: „In den nun anstehenden Trilog-Verhandlungen von EU-Rat, Europaparlament und EU-Kommission muss der Gesetzes-Vorschlag deutlich nachgebessert werden – damit das EU-Vorsorgeprinzip, unsere Wahlfreiheit und unsere gentechnikfreien Märkte und Wettbewerbsvorteile gesichert werden – konventionell und ökologisch“. Carolin Pagel, Gentechnik-Expertin bei Bioland, erwartet vom Trilog Antworten auf die vielen noch offenen Fragen: „Wie erhalten wir das Züchterprivileg? Wie soll eine faire Koexistenz zwischen konventionellen, gentechnikfreien und Bio-Betrieben gewährleistet werden? Was passiert im Falle von möglichen Verunreinigungen und wer haftet dafür?“ Demeter appellierte an das EU-Parlament, „darauf zu beharren, dass Innovation in Europa risikogeprüft und Gentechnik gekennzeichnet sein muss“.

Jörg-Andreas Krüger, Präsident des Umweltverbandes NABU nimmt für den Trilog auch die künftige Bundesregierung in die Pflicht: „Deutschland sollte sich im Trilog klar gegen eine Aushöhlung des Gentechnikrechts und für eine strikte Kennzeichnung einsetzen, um die Zukunft einer nachhaltigen und gentechnikfreien Landwirtschaft zu sichern.“ Tatsächlich spielt die Haltung der künftigen Bundesregierung eine wesentliche Rolle. Bisher hat die deutsche Enthaltung entscheidend zu der am letzten Freitag nur knapp überwundenen Sperrminorität im Agrarministerrat beigetragen. Da Belgien – wie berichtet – seine endgültige Zustimmung zu einem Trilogkompromiss unter Vorbehalt gestellt hat und auch die griechische Position weiterhin unklar ist, könnte ein schlechter Kompromiss im Nachhinein noch im Rat scheitern. 

Aber nur, wenn Deutschland bei seiner Enthaltung bleibt. Da CDU/CSU hinter der Deregulierung stehen, kommt es bei den Koalitionsverhandlungen vor allem auf die SPD an. In deren Wahlprogramm kam das Wort Gentechnik nicht vor. Auf Nachfrage hatte die Parteizentrale damals mitgeteilt: Die SPD fordere „klare Regeln für Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung bei Produkten, die mithilfe neuer Gentechniken hergestellt werden. Die Kennzeichnung von entsprechenden Produkten ist aus unserer Sicht unverzichtbar.“ Allerdings gibt es schon erste Stimmen in der Partei, von dieser Haltung abzurücken. Der agrarpolitische Sprecher der brandenburgischen SPD-Landtagsfraktion, Johannes Funke, kündigte laut AgrarEurope (AgE) an, sich bei den Mitgliedern der Arbeitsgruppe seiner Partei für die Koalitionsverhandlungen für mehr Offenheit in dieser Frage einzusetzen. Auch die CSU hat bei dem Thema ein Problem. Sie macht sich zwar im Europaparlament für eine Deregulierung von NGT stark. Doch im Artikel 11b des bayerischen Naturschutzgesetzes heißt es seit 2019: „Der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen ist in Bayern verboten“. Und der Widerstand gegen Agro-Gentechnik reicht in Bayern weit in konservativ-bäuerliche Kreise hinein.[lf]

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