In seiner Entscheidung N° 451264 stellte der Staatsrat (französisch: Conseil d'État) fest, die Regierung müsse sicherstellen, dass bekannt ist, wo überall herbizidresistente Pflanzen angebaut werden. Das hatte das Gericht bereits in einem Urteil vom Februar 2020 gefordert, das in diesem Punkt von der Regierung bisher nicht umgesetzt wurde. Deshalb ordnete der Staatsrat auch an, dass die Regierung die damals angedrohten Strafzahlungen leisten müsse. Gegen die Regierung geklagt hatte der Kleinbauernverband Confédération paysanne zusammen mit acht weiteren Organisationen. Er feierte die Entscheidung als wichtigen Sieg im Kampf gegen versteckte Gentechnik. Es werde künftig nicht mehr möglich sein, herbizidresistente Pflanzen heimlich anzubauen. Der Verband forderte die Regierung auf, die Anordnung des Staatsrates unverzüglich umzusetzen.
Das Urteil des höchsten französischen Verwaltungsgerichts ist der vorläufige Schlusspunkt in einem seit 2015 andauernden Rechtsstreit. Darin geht es um Pflanzen, vor allem Sonnenblumen und Raps, die gegen bestimmte Herbizidwirkstoffe resistent sind. Dabei entstand diese Resistenz nicht, indem fremde Gene eingefügt wurden, wie bei den bekannten gentechnisch veränderten Mais-, Soja-, Raps- und Baumwollpflanzen. Die Pflanzen mutierten vielmehr zufällig bei der in der konventionellen Züchtung häufig angewandten klassischen Mutagenese. Dabei werden Pflanzen radioaktiver Strahlung oder aggressiven Chemikalien ausgesetzt, die das Erbgut verändern können. In Frankreich wurden mit dieser Technik vor allem herbizidresistente Sonnenblumen gezüchtet, die auch in großem Stil angebaut werden. Die französische Umweltbehörde Anses schätzte deren Anteil auf 20 bis 30 Prozent der Anbaufläche und warnte in einem Gutachten 2019 davor, die verwendeten Herbizide könnten das Grundwasser belasten und besprühte Unkräuter könnten ebenfalls gegen sie resistent werden. Auf der Basis dieses Gutachtens verpflichtete der Staatsrat die Regierung im Februar 2020 dazu, die Risiken dieser herbizidresistenten Pflanzen zu bewerten und dafür zu sorgen, dass das Saatgut entsprechender Sorten bis zu dem Acker zurückverfolgt werden kann, auf dem es gewachsen ist. Denn nur wenn die Flächen bekannt sind, lassen sich mögliche langfristige Auswirkungen, etwa auf die Grundwasserqualität, nachweisen. Weil die Regierung die Forderung der Richter bis heute nicht umgesetzt hatte, wurde sie nun erneut verurteilt.
Das gesamte Verfahren hat noch einen anderen Aspekt, der inzwischen Rechtsgeschichte schrieb. Unternehmen wie die US-Firma Cibus versuchten ab 2008, solche Herbizidresistenzen mit neuen gentechnischen Verfahren wie der Oligonukleotid gerichteten Mutagenese (OgM) zu erzeugen. Die französische Regierung hatte in einer Gesetzesänderung beschlossen, solche Verfahren nicht als Gentechnik zu werten. Dagegen zogen die Confédération paysanne und ihre Verbündeten 2015 vor den Staatsrat. Dieser legte die aufgeworfenen Fragen dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vor, was zu dessen bekannter Entscheidung von 2018 führte, dass die neuen gentechnischen Verfahren unter das EU-Gentechnikrecht fallen. Auch eine spätere Klarstellung des EuGH zur Mutagenese bei Zellkulturen (C-688/21) geht auf dieses Verfahren zurück.
Durch klassische Mutagenese gezüchtete herbizidresistente Raps-, Sonnenblumen- und Zuckerrübensorten werden übrigens auch in Deutschland angebaut – ohne jede Information, auf welchen Äckern sie wachsen. Dazu zählen etwa die Clearfield-Produkte von BASF und Corteva oder resistente Zuckerrüben des Saatgutkonzerns KWS. Als der Clearfieldraps 2012 erstmals auf die Felder kam, gab es Diskussionen und negative Stellungnahmen der Pflanzenschutzämter, weil sie sich sorgten, dass Unkräuter resistent werden und benachbarte Kulturen durch Abdrift geschädigt werden könnten. Doch seither ist es in Deutschland zu dem Thema still geworden. [lf]