Dossier

Gentechnik-Weizen

Neben Mais und Reis ist kein anderes Getreide so wichtig für die Ernährung der Weltbevölkerung wie der Weizen. Auf mehr als 200 Millionen Hektar Ackerfläche weltweit wächst die älteste Kulturpflanze jedes Jahr. Rund 800 Millionen Tonnen wiegen alle geernteten Körner, die in verarbeiteter Form rund 20 Prozent des weltweiten Kalorienkonsums der Menschen decken. So wichtig Weizen für den Menschen ist, so schwierig ist seine Zucht. Sein Erbgut ist riesig und wegen der drei doppelten Chromosomensätze schwer zu ergründen. Nichtsdestotrotz werden in der Europäischen Union jährlich in der Regel mehr als 200 neue Weizensorten registriert – züchterische Innovationen, die ohne Gentechnik gelingen.

Bisher kaum Gentech-Weizen auf dem Markt

Seit 1992 erstmals ein Weizen gentechnisch verändert (gv) wurde, haben Entwickler:innen unzählige Male ins Erbgut der für die Ernährung so wichtigen Pflanze eingegriffen. Als Monsanto (heute Bayer) Mitte der Nullerjahre mit seinem glyphosattoleranten Roundup-Ready-Weizen erstmals eine gv-Sorte auf den Markt bringen wollte, war der weltweite Widerstand so groß, dass der Konzern das Vorhaben stoppte. Diese Erfahrung hielt die Saatgutkonzerne lange davon ab, gv-Weizen zu kommerzialisieren. Erst 2020 wurde in Argentinien weltweit erstmals eine Linie zum Anbau zugelassen: Bioceres darf dort seither Saatgut seines HB4-Weizens verkaufen. Inzwischen kamen weitere Zulassungen hinzu (siehe unten), doch der Anbau ist weiterhin begrenzt.
Im Mai 2024 stellte das chinesische Landwirtschaftsministerium einem mit neuen gentechnischen Verfahren (NGT) hergestellten und gegen echten Mehltau resistenten Weizen ein Sicherheitszertifikat aus. Bevor sie mit dem kommerziellen Anbau in einigen Testregionen beginnen dürfen, müssen die Entwickler:innen den Weizen noch als Sorte registrieren lassen und eine Lizenz für die Saatgutvermehrung beantragen.
Infodienst: China zertifiziert Crispr-Weizen für den Anbau (05.06.2024)

Derzeit erproben rund ein Dutzend weiterer Firmen herkömmliche Gentechnik und/oder Genomeditierung für die Entwicklung neuer Weizensorten. Besonderes Interesse finden dabei genomeditierte Sorten, lassen sie sich doch in einigen Ländern ohne gentechnikrechtliche Genehmigung und somit auch ohne GVO-Kennzeichnung vermarkten. In den USA wurden bisher zwei genomeditierte Weizenlinien dereguliert (Stand Oktober 2024): eine ernährungsphysiologisch verbesserte sowie eine Mehltau-resistente Variante. Beide stammen von Calyxt (heute Cibus) und schafften es nicht auf dem Markt.
Infodienst: Gentechnik-Weizen breitet sich weltweit aus (23.09.2024)

HB4-Weizen – Keim des Anstoßes

Der HB4-Weizen von Bioceres wurde mit alter Gentechnik hergestellt und soll dank der Übertragung des HB4-Gens aus der Sonnenblume Trockenstress vertragen. Neben Argentinien erlauben inzwischen Brasilien, Paraguay und zuletzt seit August 2024 die USA, ihn kommerziell anzubauen. Als Lebens- und Futtermittel darf der HB4-Weizen nach Angaben von Bioceres derzeit in Australien, Neuseeland, Südafrika, Nigeria, Thailand, Indonesien, Kolumbien und Chile verkauft werden. Australien habe zudem Feldversuche zugelassen. Da wichtige internationale Abnehmer von US-Weizen, wie Mexiko, die Philippinen und Japan HB4-Weizen bisher nicht als Lebensmittel zugelassen haben, bezweifelt das US-Landwirtschaftsportal Agdaily, dass HB4 in den USA ein Erfolg wird.

Wo der HB4-Weizen Anbauzulassungen erhält, löst er bei Handel, Landwirtschaftsbetrieben und Zivilgesellschaft Kritik und Unbehagen aus. Ein Anlass dafür ist das PAT-Gen, das Bioceres neben dem HB4-Gen ins Erbgut des Weizens eingeschleust hat. Damit kann ihm das Spritzmittel Glufosinat nichts mehr anhaben – ein Herbizid, das als reproduktionstoxisch für Menschen gilt und deshalb in der EU seit 2018 verboten ist. Anlass für Kritik gibt ferner die Sorge, dass ein HB4-Weizen auf den Feldern herkömmlichen oder Bio-Weizen gentechnisch verunreinigen kann. Hinterfragt wird zudem sein Nutzen: Eine 2023 in Argentinien durchgeführte unabhängige Untersuchung zeigte, dass eine HB4-Sorte im Testgebiet nicht mehr Ertrag brachte als andere Sorten.

Als Argentinien im Jahr 2020 den Anbau von HB4-Weizen erlaubte, schrieben mehr als 1000 Wissenschaftler:innen in einem offenen Brief an ihre Regierung: "Diese Genehmigung bezieht sich auf ein Agrarmodell, das sich als umwelt- und sozialschädlich erwiesen hat, das die Hauptursache für den Verlust der biologischen Vielfalt ist, das die Probleme des Ernährungssystems nicht löst und das auch die Gesundheit unserer Bevölkerung bedroht, indem es die Ernährungssicherheit und -souveränität gefährdet".
Gen-ethisches Netzwerk: In Argentinien wird um den Anbau von gv-Weizen gestritten (GiD, November 2022)

Crispr-Weizen mit wenig Asparagin

2021 startete in England der europaweit erste Freisetzungsversuch mit einem Crispr-Weizen: Bis 2026 will das Rothamsted Research Institute dabei einen genomeditierten Weizen unter Umweltbedingungen testen, der in seinen Körnern wenig Asparagin bildet. Bis vor kurzem noch spielte der Asparagingehalt bei der Weizenzüchtung kaum eine Rolle. Doch seit die EU-Kommission 2018 die Richtwerte für Acrylamid in Backwaren heruntergesetzt hat, ist das Interesse gestiegen. Da aus dem Asparagin in Weizenmehl bei der Herstellung von Backwaren wie Brot, Keksen oder Cracker das als krebserregend geltende Acrylamid entsteht, sollen es Asparagin-arme Sorten nun ermöglichen, die Richtwerte einzuhalten. Erste Resultate aus dem Freisetzungsversuch zeigen, dass der unter anderem mit Mitteln von KWS, Syngenta, Limagrain und Ragt Seeds hergestellte Crispr-Weizen bis zu 50 Prozent weniger Asparagin enthalten kann. Das Institut Testbiotech wies darauf hin, dass der Gehalt an Asparagin in dem Crispr-Weizen stark schwanke und sich die Konzentration mehrerer Aminosäuren ungewollt verändert habe.

Die umstrittene Genomeditierung ist nicht die einzige Möglichkeit, das Acrylamidproblem anzugehen. Die Universität Hohenheim untersuchte 149 mitteleuropäische Weizensorten und stellte fest, dass sich der Asparagingehalt allein dadurch um 64 Prozent senken lässt, dass man eine geeignete Sorte auswählt. Da moderne Weizenlinien bereits eine natürliche Variation an Asparagingehalten haben, lassen sich Asparagin-arme Sorten auch auf herkömmlichem Weg – etwa mit Marker-unterstützter Selektion – züchten. Der Acrylamidgehalt in Backwaren lässt sich ferner niedrig halten, indem der Weizen auf dem Acker mit Schwefel gedüngt und beim Backen große Hitze vermieden wird.

Glutenarmer Weizen

Eines der großen Ziele der Gentechnik bei Weizen sind glutenarme Sorten. Sie sollen Weizenprodukte auch für die rund ein bis zwei Prozent der Weltbevölkerung verträglicher machen, die unter Zöliakie leiden, also Gluten nicht vertragen. Die Arbeiten an „zöliakiesicheren“ Sorten begann in den Nullerjahren mit der RNAi-Technik. Heute kommt Genomeditierung zum Einsatz. Neben dem US-Start-up Ukko sowie öffentlichen Instituten in China und den USA setzen mit der Universität Wageningen und dem Institut für nachhaltige Landwirtschaft IAS auch zwei Institutionen in Europa die Crispr-"Genschere" ein, um Glutengene zu verändern. Da Weizen in seinem Erbgut viele Glutengene hat, sind umfangreiche Eingriffe notwendig. Bis zu 35 Gene hat zum Beispiel das IAS gleichzeitig verändert, um den Glutengehalt zu reduzieren.

Ob es zöliakiesichere Sorten jemals auf den Markt schaffen werden, ist unklar. Gluten im Mehl ist wichtig, sorgt es doch für Textur und Geschmack in Produkten wie Brot, Gebäck oder Nudeln. Wahrscheinlich ist deshalb, dass Gluten nie ganz aus dem Weizen entfernt werden wird. Glutenarme Sorten dürften deshalb weniger eine Lösung für Zöliakie-Betroffene werden, sondern eher eine Option für Menschen mit leichten glutenbedingten Beschwerden oder solche, die eine Glutensensitivität befürchten und deshalb den Glutenkonsum reduzieren möchten.

Pilton – Crispr-Weizen aus Deutschland

2020 startete der Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter (BdP) das Pilton-Projekt. Dessen Ziel ist, mit Hilfe des Gentechnikverfahrens Crispr/Cas einen pilztoleranten Weizen zu erzeugen. Beteiligt sind 54 Pflanzenzuchtfirmen – darunter die Saatgutmultis KWS, Bayer, Limagrain und Syngenta. Die Firmen wollen, dass der geplante Weizen in Europa ohne Risikoprüfung und Kennzeichnung angebaut werden darf. Das Pilton-Projekt wirbt deshalb dafür, das europäische Gentechnikrecht entsprechend aufzuweichen. Damit könnten Verbraucher:innen jedoch nicht mehr frei wählen, was sie essen wollen. „Wer den Menschen Crispr-Brot schmackhaft machen möchte, darf das nicht über Verschleierung der Produkte versuchen“, sagte Alexander Hissting, Geschäftsführer des Verbandes Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG), beim Start des Pilton-Projekts. Der VLOG setzt sich nicht nur dafür ein, dass Gentechnik bei Weizen erkennbar bleibt, auch die Risiken müssten weiter geprüft werden. Wenn der Weizen keine negativen Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit habe, sollte es laut Hissting kein Problem sein, eine EU-Gentechnikzulassung für ihn zu bekommen. Die wissenschaftlichen Ergebnisse des Pilton-Projekts hat der BdP für Herbst 2024 angekündigt. 
PILTON – das neue Weizenwunder?

Hybridweizen – das große Geschäft lockt

Hybridsorten sind bei anderen Kulturpflanzen wie Mais oder Kartoffeln verbreitet. Die Vorteile sind vor allem wirtschaftliche: Die Kreuzung von zwei reinerbigen Inzuchtlinien und die daraus resultierenden Hybride bringen in vielen Fällen höhere Erträge. Bislang spielen Hybridsorten bei Weizen kaum eine Rolle. Nur auf einem Prozent der weltweiten Weizenfläche wachsen Hybridsorten, obwohl Saatgutkonzerne mit Hochdruck an der Entwicklung von Hybridsaatgut arbeiten. Der Grund dafür liegt in der Biologie des Weizens. Die Pflanze ist ein sogenannter Selbstbefruchter, was die Kreuzung mit einer anderen Weizenlinie nur möglich macht, wenn eine der beiden Linien männlich steril gemacht wird. Bisher wurde hauptsächlich chemisch mit Hybridisierungsmitteln wie Croisor sterilisiert.

Jetzt setzen Konzerne wie BASFCortevaLimagrain und Elsoms Seed auch herkömmliche Gentechnik und/oder Genomeditierung ein, um männlich sterilen Weizen zu erzeugen oder zu vermehren. Corteva zum Beispiel will seine bei Mais bereits kommerzialisierte Seed Production Technology (SPT) auch bei Weizen etablieren. Falls mit Gentechnik die industrielle Produktion von Hybridweizen gelingen sollte, winken den beteiligten Konzernen hohe Gewinne. Da sich Hybridweizen nicht sortenecht vermehren lässt, könnten Bauern und Bäuerinnen ihre geernteten Weizensamen nicht mehr für die nächste Aussaat verwenden, sondern müssten jährlich Saatgut nachkaufen. Gegenwärtig ist der Nachbau bei Weizen noch weit verbreitete bäuerliche Praxis – in Deutschland etwa lag er laut Agrarheute 2023 bei Winterweizen bei 50 Prozent.

Beschleunigung mit Doppelhaploiden

Saatgutkonzerne wollen mit Genomeditierung die Erzeugung doppelhaploider (DH)  Weizenpflanzen leichter machen und sich damit einen Vorteil gegenüber ihren Konkurrenten schaffen. DH-Pflan­zen spielen heute in der Weizenzüchtung eine wichtige Rolle. Da ihr Erbgut für die züchterisch interessanten Merkmale homozygot (reinerbig) ist, können sich Firmen durch ihren Einsatz langwierige Rückkreu­zung­en sparen und die Zeit der Sortenentwicklung um zwei bis drei Jahre verkürzen. Bisher basiert die Erzeugung von DH-Weizen auf einer Kombination von Zellkulturtechniken und chemischer Behandlung mit Colchicin. Um die aufwendigen Zellkulturtechniken überflüssig zu machen, stellen Syngenta und Limagrain nun mit der Crispr-Genschere so genannte Haploideninduktions-(HI)-Linien her. Werden Weizenpflanzen mit diesen HI-Linien gekreuzt, entstehen haploide Pflanzen, aus denen sich mit Colchicin dann DH-Pflanzen machen lassen.

Rasche Genomeditierung mit Hilage und HI-Edit

Viele Weizensorten lassen sich mit gängigen Genomeditierungsmethoden nicht oder nur mit hohem Aufwand verändern. Neue Methoden wie Hilage oder HI-Edit, bei denen die Crispr-Reagenzien via Haploideninduktions-(HI)-Linien in die Pflanzen eingebracht werden, ändern das. Firmen, die über entsprechende Patente oder Lizenzen für diese Methoden verfügen, haben einen Konkurrenzvorteil.

HI-Edit-Patent von Syngenta

Hilage-Patent der Universität von Minnesota


Weizenzüchten ohne Gentechnik I: Bio-Sorten

Wie sich neue Weizensorten auch gänzlich ohne Gentechnik, Genomeditierung und Patente entwickeln lassen, zeigen die Züchtungsfirmen Agrologica, Cultivari, Dottenfelder Hof, Getreidezüchtung Peter Kunz und Keyserlingk-Institut. Sie alle züchten Sorten für den Ökolandbau und verzichten deshalb darauf, das Erbgut ihrer Pflanzen gentechnisch zu manipulieren. Eine der Bioweizensorten gilt als der große Star: die Sorte Wiwa, die in Süddeutschland, Frankreich und der Schweiz verbreitet ist. Das Forschungsinstitut für biologischen Landbau hat ihre Vorteile in einer Untersuchung von 2022 beleuchtet.

Weiterführende Links
Bioverita: Biologische Getreidezüchtung
Coop -Kundenzeitschrift über Getreidezüchtung Peter Kunz

Weizenzüchten ohne Gentechnik II: MAS, GS, KI und SB

Mit High-Tech, aber ohne Gentechnik: Züchtungsfirmen stehen heute eine Reihe moderner Methoden zur Verfügung, mit denen sich auch ohne Crispr-Genscheren schnell standortangepasste und robuste Sorten züchten lassen. Markerunterstützte Selektion (MAS) und Genomische Selektion (GS) ermöglichen eine raschere Auswahl von Pflanzen mit züchterisch interessanten Eigenschaften. Die künstliche Intelligenz (KI) erhöht das Züchtungstempo mit Vorhersagemodellen, die auf Algorithmen zur Mustererkennung und maschinellem Lernen beruhen. Mit Speedbreeding (SB) wiederum lässt sich in speziellen Gewächshäusern der Generationenwechsel und damit die Kreuzungszüchtung beschleunigen. Eine Weizengeneration wächst in SB-Gewächshäusern drei Mal so schnell heran wie auf dem Feld.

 

Zuletzt aktualisiert: Oktober 2024

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