Neue Verfahren zur Erbgutveränderung wie die CRISPR-Cas-Technik fallen unter das Gentechnik-Recht der EU. Zu dieser Einschätzung kommt ein Experte für Umweltrecht und ehemaliger Richter. Für die Frage, ob eine Pflanze oder Tier als gentechnisch veränderter Organismus gelten muss oder nicht, sei entscheidend, wie die DNA verändert wurde.
Und hier besteht aus Sicht Ludwig Krämers, der als Professor Umweltrecht an verschiedenen europäischen Universitäten unterrichte, zudem viele Jahre als Richter in Kiel und als Mitarbeiter der EU-Kommission tätig war, kaum Zweifel daran, dass CRISPR wie auch die ebenfalls umstrittene Oligonukleotid-gesteuerte Mutagenese (OgM/OdM) gemäß derzeitigem Recht gentechnische Verfahren darstellen.
Denn laut EU-Recht gilt ein Verfahren dann als Gentechnik, wenn „in einen Organismus direkt Erbgut eingeführt wird, das außerhalb des Organismus zubereitet wurde“ oder mittels Nukleinsäuremolekülen „neue Kombinationen von genetischem Material gebildet werden und diese in einen Wirtsorganismus eingebracht wurden, in dem sie unter natürlichen Bedingungen nicht vorkommen, aber vermehrungsfähig sind.“
Zwar weiß Krämer, dass einige Wissenschaftler – sowie Lobbyisten von Gentechnik-Firmen – argumentieren, auch in der Natur komme es zu spontanen Genveränderungen, so dass am Ende bei einigen Organismen nicht unterschieden werden könne, ob Technik oder vielmehr Zufall im Spiel waren. Doch darauf komme es nicht an, so der Jurist. Entscheidend sei nicht das Endergebnis – also die DNA eines lebenden Organismus – sondern der Entstehungsprozess. Zudem entwickle sich auch die Forschung weiter, so dass es in Zukunft durchaus möglich sein könne, der Ursache von Erbgutveränderungen auf den Grund zu gehen.
Krämer bezieht sich in seinem Gutachten nicht nur auf den Wortlaut der EU-Richtlinie aus dem Jahr 2001, sondern auch auf den damaligen politischen Kontext, der vor Gericht ja durchaus eine Rolle bei der Auslegung von Gesetzen spielen kann. Die europäischen Gesetzgeber, so seine Einschätzung, hätten damals klar gemacht, dass alle Risiken, die von der Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen ausgehen, berücksichtigt würden. Ausnahmen gab es nur für Verfahren, die schon lange angewendet worden waren und als sicher gelten konnten – was auf die Oligonukleotid-Technik nicht zutrifft, weil erst zwei Jahre vor Verabschiedung der Richtlinie erste wissenschaftliche Veröffentlichungen erschienen waren.
Das Gutachten geht auch auf eine Entscheidung des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit ein. Dieses erklärte vor einigen Monaten, Rapspflanzen der US-Firma Cibus, die mittels Oligonukleotid-gesteuerter Mutagenese entwickelt wurden, seien „keine gentechnisch veränderten Organismen i.S.d. Gentechnik-Gesetzes.“ Krämer sieht darin einen Widerspruch zum EU-Recht. Ziel und Zweck der entsprechenden Richtlinie seien nicht berücksichtigt worden.
Mehrere Verbände haben gegen die Behördeneinschätzung geklagt und damit zunächst verhindert, dass der herbizidresistente OgM-Raps in Deutschland ausgesät werden kann. Auch die EU-Kommission hat die Behörden der Mitgliedstaaten aufgefordert, mit solchen Entscheidungen zu warten, bis sie selbst ihre Einstufung neuer Genomverfahren vorlegt – das soll bis Ende 2015 geschehen.
Von Brüssel hängt deshalb viel ab. „Es geht um eine grundlegende Weichenstellung“, erklärt Christoph Then von Testbiotech. Sein Verein hatte das Gutachten bei Professor Krämer zusammen mit anderen Umwelt- und Landwirtschaftsorganisationen in Auftrag gegeben. „Die neuen Methoden des ,Genome Editing‘ ermöglichen radikale Veränderungen des Erbguts. Bislang gibt es keine ausreichende Erfahrung mit den neuen Techniken, deshalb können sie nicht als sicher eingestuft werden. Wenn diese neuen Technologien nicht als Gentechnik gelten, gibt es keine Transparenz und keine Wahlfreiheit für Landwirte oder Verbraucher und auch und keine Möglichkeit, Mensch und Umwelt zu schützen, wie das von den EU-Gesetzen verlangt wird.“ [dh]