Diskutieren ja, Gentechnikrecht aufweichen nein, so lassen sich die Reaktionen von Verbänden und Institutionen aus dem Umwelt-, Agrar- und Lebensmittelbereich auf einen aktuellen Bericht der Europäischen Kommission zu neuen gentechnischen Verfahren zusammenfassen. Neue Gentechnik müsse Gentechnik bleiben, so die Verbände. Aber andere Vorschläge für eine Gesetzesreform hatten sie schon.
„Wir sind bereit für einen offenen und breit angelegten Diskussionsprozess“, so Annemarie Volling von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft. Doch dann müssten alle Positionen von Betroffenen und Wissenschaftsdisziplinen gleichermaßen berücksichtigt werden, forderte die Gentechnikexpertin. Am aktuellen Kommissionbericht war kritisiert worden, dass im Vorfeld überwiegend Befürworter einer Deregulierung neuer Gentechnik gehört worden waren. Volling verwies auf das in vielen Meinungsumfragen zum Ausdruck gebrachte klare Votum der Verbraucher*innen gegen Gentechnik auf ihren Tellern. „Bäuerinnen und Bauern wollen keine Risikoprodukte auf dem Acker und im Futter. Wir wollen garantiert erzeugen können, was ein Großteil der Verbraucher*innen will: gentechnikfreie Lebensmittel. Dazu ist eine Regulierung auch der neuen Verfahren nach dem geltenden Gentechnikgesetz zwingend notwendig. Vorsorge, Wahlfreiheit, Transparenz und Haftung müssen sichergestellt werden. Im angekündigten Konsultationsprozess muss sich die Bundesregierung klar für diese Grundprinzipien einsetzen.“
„Die eigentliche Frage ist doch, wie man zu einer Landwirtschaft und Ernährung kommt, die im Einklang mit den planetaren Grenzen genügend gesundes Essen für alle produziert“, ergänzte der Vorsitzende des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft e.V., Felix Prinz zu Löwenstein. Die Antwort dafür liege nur zu einem sehr kleinen Teil im Genom der Pflanzen. Entscheidend sei das ganze System von Pflanze, Boden, Tieren und menschlicher Ernährung. Dass es dafür einen tiefgreifenden Umbau brauche, sei mit Blick auf die Zerstörung von Artenvielfalt und die Klimakrise sowie die grassierende Fehlernährung wissenschaftlich unstrittig. „Technologien, die das aktuelle System zementieren, verhindern die Transformation“, so der BÖLW-Vorsitzende.
Der Verband Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG) konzentriert sich darauf, mit einem Ohne Gentechnik-Siegel den konventionellen Markt für gentechnikfreie Lebensmittel zu bedienen. „Wenn tatsächlich eine Gentechnik-Deregulierung käme, würde sie den erfolgreichen ‚Ohne Gentechnik‘-Wirtschaftssektor massiv gefährden, der allein in Deutschland inzwischen für über 12 Milliarden Euro Umsatz im Einzelhandel und über 5 Prozent Marktanteil bei Lebensmitteln steht“, so VLOG-Geschäftsführer Alexander Hissting. „Verbraucherinnen und Verbraucher legen hohen Wert auf Gentechnikfreiheit. Damit meinen sie ausdrücklich auch neue Gentechnik-Verfahren wie CRISPR.“ Die EU-Kommission hatte in ihrem Bericht den Gedanken aufgeworfen, bestimmte Produkte neuer gentechnischer Verfahren von der Pflicht zur Risikoprüfung und Kennzeichnung auszunehmen.
Große Zweifel äußerten die Verbände an den Prämissen, die diesem Vorschlag zugrunde liegen. „Die aktuelle Veröffentlichung der Kommission beschreibt wortreich mögliche Vorteile der neuen Techniken, die es in der Praxis nicht gibt“, kritisierte etwa Sophia Guttenberger, Referentin für Landwirtschaft und Gentechnik am Umweltinstitut München. Gentechnisch veränderte Pflanzen seien gerade nicht nachhaltig, würden unklare Risiken für Mensch und Umwelt bergen. „Dass die zuständige Kommissarin für Gesundheit und Verbraucherschutz die Versprechungen aus den Broschüren der Agrarindustrie nachbetet, ist ein schlechtes Zeichen für eine ökologischere, klima-angepasste Land- und Lebensmittelwirtschaft in Europa als Teil der Farm-to-fork-Strategie“, kommentierte Daniela Wannemacher vom Bund für Umwelt- und Naturschutz den Kommissionsbericht. „Kein einziges Gentechnik-Versprechen wie die Bekämpfung von Hunger oder der Klimakrise wurde eingelöst“, erinnerte Felix Prinz zu Löwenstein.
Was nach Ansicht der Verbände bei einer Gesetzesreform geregelt werden müsste, ist eine unabhängige Prüfung der Gentechnik-Pflanzen. „Es darf in Zukunft nicht mehr den Gentechnik-Herstellern überlassen bleiben, die für die Zulassung erforderlichen Sicherheitsprüfungen selbst in Auftrag zu geben und dann auszuwählen, welche davon sie vorlegen wollen“, so Felix Prinz zu Löwenstein. „Vielmehr muss die Europäische Zulassungsbehörde selbst die Studien in Auftrag geben.“ Und Sophia Guttenberger hält es für dringend geboten „endlich den Import von gentechnisch veränderten Futtermitteln zu unterbinden.“ Für den VLOG ist es "höchste Zeit", Nachweisverfahren für die neue Technik zu etablieren.
„Die Kommission hat den Ball nun an die Mitgliedsstaaten und das Parlament zurückgespielt und will einen offenen Dialog über die künftige Politik führen“, so Daniela Wannemacher. „Wir erwarten, dass die Forderungen des BUND und vieler weiterer Organisationen nach Wahlfreiheit, Risikoprüfung und Zulassung, sowie Transparenz und Kennzeichnung dabei gehört werden. Die Zukunft der Landwirtschaft ist gentechnikfrei." [vef]